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Seuchenlage hoch zwei

18.12.2020

Dr. Mario SteinDr. Mario Stein ist Referatsleiter des Lebensmittelüberwachungs- und Veterinäramtes im Erzgebirgskreis. Sein Landkreis ist deutschlandweit die am viertstärksten von der Corona-Pandemie betroffene Region. Aber nicht nur mit hohen Corona-Inzidenzwerten machte Sachsen in den letzten Wochen des Jahres Schlagzeilen: Neben Brandenburg, wo die ersten Fälle der Afrikanischen Schweinepest (ASP) bei Wildschweinen im September dieses Jahres auftraten, ist der Freistaat (Kreis Görlitz) das einzige weitere deutsche Bundesland, in dem bisher ASP-positive Tiere gefunden wurden. Steins Amt in Aue im Erzgebirge war Vorreiter bei der Ausrichtung von Tierseuchenübungen zur Afrikanischen Schweinepest in Sachsen. Im Interview mit Sophia Neukirchner spricht er über die seuchenbedingte Doppelbelastung für sein Referat und wie ein gestiegenes Hygienebewusstsein in der Gesellschaft im Zuge der Pandemie auch für die Tierseuchenbekämpfung von Vorteil sein kann.

Vetion.de: Was hält Ihr Amt gerade mehr in Atem – Corona oder die Afrikanische Schweinepest?

Dr. Mario Stein: Da wir primär für die Tierseuchenbekämpfung verantwortlich sind, beschäftigt uns natürlich vordergründig die Bedrohungslage durch die Afrikanischen Schweinepest. Hinzu kommt nun auch in Sachsen die Geflügelpest – bisher zum Glück nur als Einzelnachweis bei Wildgeflügel. Corona wirkt in diesem Zusammenhang erschwerend. Der Lockdown betrifft uns weniger: „Das Amt ruht nie.“

Inwiefern erschwert die Corona-Pandemie die Arbeit Ihres Referats im Bereich Tierschutz und Tierseuchen?

Zum einen ist da die ständige Bedrohung, dass Mitarbeiter durch Quarantäne-Maßnahmen ausfallen – glücklicherweise ist das bisher noch nicht passiert. Wenn das aber geschehen würde, wäre es schon ein Problem, da es nicht möglich ist, unter permanenten Personalreserven zu arbeiten. Zudem unterstützen wir von Anfang an die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie: personell bei der Kontaktnachverfolgung im Gesundheitsamt – besonders im Moment ist da in Sachsen natürlich viel zu tun; aber unsere Mitarbeiter übernehmen auch Aufgaben aus diesem Bereich direkt. Im Zuge der Überwachung von Lebensmittelbetrieben kontrollieren wir beispielsweise auch die Einhaltung von Hygienemaßnahmen.

Andersrum setzten wir unsere Mitarbeiter – trotz Schutzkleidung – auch potentiellen Risiken aus, etwa bei der Kontrolle von Krankenhausküchen. Die Pandemie ist eine mentale Belastung. Aber natürlich nicht nur für uns, sondern für alle in der Gesellschaft. Das merken unsere Mitarbeiter in ihren Außendiensttätigkeiten: Die Leute, die wir besuchen, sind durch Corona ohnehin schon belastet und durch unsere Kontrollen im Bereich Lebensmittel und Tierschutz, die wir natürlich trotz Pandemie durchführen müssen, zusätzlich genervt. Dann kommt es auch schon mal vor, dass unsere Mitarbeiter mit der Anweisung konfrontiert werden, dass Fremdpersonal ohne negativen Corona-Test nicht aufs Betriebsgelände gelassen werden darf. Inwiefern solche Aussagen gerechtfertigt sind oder teilweise zur Abwendung von Kontrollen missbraucht werden, lässt sich schlecht beurteilen. Das ist ein Konfliktpunkt.

Welche neuen Aufgaben sind hinzugekommen?

Insbesondere im Lockdown besteht eine hohe Verunsicherung in der Bevölkerung, was noch erlaubt ist und was nicht. Die Versorgung der Tiere muss natürlich weiterhin gewährleistet sein. Die Tierarztpraxen haben weiter geöffnet. Aber da hört es ja nicht auf. Uns erreichen auch Fragen von landwirtschaftlichen Betrieben oder vor wenigen Minuten von jemandem, der wissen wollte, ob denn jetzt der Hufschmied noch kommen darf. Solche Fragen gab es vorher nicht.

Mit Blick zurück auf die Afrikanische Schweinepest: Ein wichtiger Bestandteil der Prävention bzw. Bekämpfung ist es, die Wildschweinpopulation zu reduzieren. Gemeinschaftsjagden zu diesem Zweck sind deshalb trotz Kontaktbeschränkungen weiterhin erlaubt – das war uns wichtig – aber jede Jagd muss von uns einzeln mit Hygienekonzept genehmigt werden.

Nun gibt es im Erzgebirgskreis nur wenige schweinehaltende Betriebe (4 größere, insg. etwa 9.500 Tiere, Anm. d. Red.) und noch keinen ASP-Fall. Dennoch waren und sind Maßnahmen gegen die Afrikanische Schweinepest schon länger ein großes Thema: Im August 2018 führte Ihr Referat die erste große Tierseuchenübung zu diesem Thema in Sachsen durch. Erkenntnisse daraus konnten über Vorträge im Nachgang auch in die Arbeit im Landkreis Görlitz einfließen. Was läuft Ihrer Meinung nach gut im Kampf gegen die ASP und was nicht?

Der mobile Elektrozaun an der Grenze zu Polen hat sich zu Beginn in jedem Fall bewährt. Fast alle positiven Wildschweine fanden sich im gefährdeten Gebiet entlang der Neiße östlich des Zaunes. Die zwei positiven Proben westlich davon stammten von Wildschweinteilen, die Prädatoren verschleppt haben. Darüber, dass nun ein fester Zaun entlang der sächsisch-polnischen Grenze gebaut wird, bin ich froh und auch darüber, dass dort das Technische Hilfswerk (THW) aus unserem Landkreis mitwirkt und Erfahrungen sammeln kann. Diese Maßnahme ist weit vorangeschritten und kurz vor der Vollendung. Der Fokus auf diverse Zäune an der Grenze zu Polen hätte meines Erachtens jedoch ruhig schon früher beginnen können. Bereits 2017 war die Bedrohungslage aus Tschechien schließlich bekannt, bevor der Druck aus Polen so groß wurde. 2018 war das für uns der Anlass, eine groß angelegte Tierseuchenübung durchzuführen, in der wir alle Maßnahmen schon anwandten. Erst 2019 gab es dann eine zentrale Übung in Sachsen. Tschechien hat es mit einer konsequenten Seuchenbekämpfungsstrategie, welche die Einzäunung und eine vollständige Eradikation des Wildschweinbestandes unter Einsatz aller verfügbaren Kräfte beinhaltete, vorgemacht. Inwiefern so eine umfassende Zusammenarbeit in Deutschland gelingt, ist die Frage.

Worauf setzen Sie im Erzgebirgskreis bei der Verhinderung eines Eintrages der ASP?

Laut geltender Allgemeinverfügung an die Jäger in Sachsen muss jedes sogenannte Stück „FUK“-Wild (Fall-, Unfallwild oder krank erlegtes Wild, Anm. d. Red.) beprobt werden – mindestens durch einen Bluttupfer (Prämie 30 Euro). Zusätzlich gibt es die Möglichkeit, gegen eine Prämie von 10 Euro, auch gesund geschossenes Wild beproben zu lassen. Wichtig ist die schnelle Entfernung von FUK-Wild vom Fundort und die gesonderte Beseitigung (Prämie 30 Euro). Dafür stehen extra Tonnen auf dem Gelände der Straßenmeistereien. Diese werden von der Tierkörperbeseitigungsanlage mit separaten Fahrzeugen angefahren, sodass eine Verschleppung zwischen den Betrieben im Rahmen der Routinefahrten ausgeschlossen ist.

Die Hausschweinehalter haben wir alle über die Berufsverbände und während unserer Vor-Ort-Kontrollen sensibilisiert. Das Problem sind hier eher die Kleinstbestände mit nur sehr wenigen Tieren. Grundsätzlich haben wir seit dem ASP-Ausbruch in Tschechien die Freilandhaltung von Schweinen im Landkreis verboten. Ein Auslauf ist genehmigungspflichtig und muss mit einem doppelten Zaun gesichert sein. Dennoch fallen ab und an noch zufällig kleinere Freilandhaltungen auf, die wir dann entsprechend regulieren müssen.

Haben Sie das Gefühl, dass im Zuge der Pandemieerfahrung auch das Bewusstsein für die Prävention von Tierseuchen in der Bevölkerung gestiegen ist?

Ja, den Eindruck habe ich schon. Zumindest ist seit dem Frühjahr der Begriff der Hygiene im Alltag angekommen. Das ist grundsätzlich begrüßenswert. Sich einmal mehr die Hände zu waschen, kann schließlich auch für die Tierseuchenprävention von Vorteil sein.

Einen E-Learning-Kurs zur Afrikanischen Schweinepest (1 ATF-Stunde) in Kopperation mit dem Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) finden Sie bei MyVetlearn.de


Im August 2018 fand im Landkreis Erzgebirge (Sachsen) eine Tierseuchenübung zur Vorbereitung auf die Afrikanische Schweinepest statt. Organisiert wurde sie von dem Lebensmittelüberwachungs- und Veterinäramt Aue/Erz, unterstützt von u.a. der örtlichen Jägerschaft, dem THW und dem Insitut für Tierhygiene und Öffentliches Veterinärwesen der Universität Leipzig (Prof. Truyen und Prof. Pfeffer). Einige Eindrücke der Lagebesprechung, des mobilen Einsatzstabes, Probennahme, Bergung des Kadavers, Desinfektion des Wildschweinfundortes, Aufbaue eines mobilen Elektro- und Duftzaunes, Fallwildsuche mit Suchhunden und Drohneneinsatz sehen Sie hier:

Bilder: Sophia Neukirchner