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Interview mit Prof. Jörg Aschenbach zur digitalen Lehre

06.05.2020

Prof. Jörg Aschenbach
Prof. Jörg Aschenbach, Prodekan für Lehre an der Veterinärmedizinischen Fakultät Berlin über den Start ins Digitale Semester
Interview mit Prof. Jörg Aschenbach, Prodekan für Lehre
an der Veterinärmedizinischen Fakultät Berlin, der erzählt, wie die
ersten Tage im digitalen Semester angelaufen sind.

Vetion.de: Wie liefen die ersten Tage des digitalen Semesters an?

Prof. Dr. Jörg Aschenbach: Die erste Woche ist sehr gut angelaufen. Sowohl von den Studierenden, etwa über die Semestersprecher, als auch den Dozierenden habe ich viel positive Rückmeldung erhalten.
Sowohl kleine, als auch die großen Formate kamen zur Anwendung. Beispielsweise hatten sich zur Einführungsveranstaltung des vierten Semesters 178 Studierenden gleichzeitig auf unserer Plattform WebEx zugeschaltet, ohne dass es zu Problemen kam. Bei diesen Zahlen kann man natürlich nicht mehr auf jeden Einzelnen achten, aber das kann man im Hörsaal auch nicht.

In der Lehrplanung haben wir keine Veranstaltungen weggelassen, sondern alles auf online umgestellt. Das klappte und klappt weitestgehend sehr gut. Immerhin hatten wir mit digitaler Lehre auch schon vorher einige Erfahrung, etwa im Projekt Quervet oder Blended-Learning-Einheiten zur Betriebswirtschaft.

Aber natürlich bin ich nicht glücklich, dass es auf zurzeit keine praktische Lehre mehr gibt.

Vorlesungen sind sicher gut online umzusetzen, wie sieht es aber mit Übungen aus?


Physiologieübungen per Videokonferenz mit Testat, aber ohne EKG-Anlegen, virtuellen Ersatz für klinische Lehre, Spenden für Studenten und jeden Tag ein Lächeln
Gerade bin ich in der Betreuung einer Physiologie-Übung mit Webex. Die findet im Prinzip fast genauso wie vor Ort statt. Selbst Testate kann man im Webex umsetzen. Bei dieser konkreten Lehreinheit war die Umstellung auf online unproblematisch, da es ohnehin um eine Computersimulation geht. Die Studierenden haben sich das Simulationsprogramm auf den heimischen Rechner geladen und können die Versuche ohne Einschränkungen durchführen. Bei anderen Übungen ist das teilweise etwas schwieriger. Normalerweise hätten wir das EKG-Anlegen und andere Handgriffe am Hund geübt. Das geht jetzt natürlich nicht.

Und die klinische Lehre?

Hier muss ich als Lehrdekan wirklich den Hut vor meinen Kolleginnen und Kollegen ziehen. Das schien am Anfang eine nicht zu meisternde Aufgabe vor dem Hintergrund, dass die Corona-Schutzmaßnahmen hier in Berlin besonders tiefgreifend umgesetzt werden. Zwischenzeitlich haben wir für alle klinischen Unterrichtseinheiten einen virtuellen Ersatz ausgearbeitet und umgesetzt. Damit können wir die Zeit überbrücken, bis zu der wir wieder schrittweise zum Unterricht am Tier zurückkönnen. Wir hoffen alle, dass dies möglichst bald sein kann. Auch ein noch so gut gemachter Online-Unterricht kann eine solide Ausbildung am Tier nicht ersetzen. Letztere ist im Veterinärmedizinstudium unverzichtbar.

Welche Hürden gab es bei der Umsetzung der Online-Lehre?

Eine Schwierigkeit war, dass das Videokonferenztool WebEx, mit dem wir jetzt arbeiten, für die Studierenden erst am 20.4., also am ersten Semestertag, freigeschaltet werden konnte. Die Dozierenden konnten das Tool zwar schon eine Woche früher austesten, aber die Studierenden wurden quasi „ins kalte Wasser geschmissen“. Sie lernten aber alle extrem schnell – die Plattform ist sehr intuitiv bedienbar. Auch unter Netz- und Serverüberlastungen leiden wir gelegentlich, aber bisher konnten alle Probleme zeitnah behoben werden.

Wie wurden die Studierenden für die digitale Lehre fit gemacht?

Wir haben die Studierenden so früh es ging, darüber informiert, wie sie sich für das „Kreativsemester“ fit machen müssen. Da ging es etwa darum, welches technische Equipment sie brauchen werden. Wir haben sie aber auch darüber informiert, dass es nicht nur ums Studieren geht, sondern, dass sie auch auf ihre Gesundheit achten müssen, sei es mit Sport, sozialen Kontakten per Videotelefonie oder einem Lächeln an jedem Tag. Ich glaube, die regelmäßigen Infomails kamen gut an.

Gab es Studierende, die Schwierigkeiten hatten, die Technik finanziell oder organisatorisch rechtzeitig beschaffen zu können? Welche Unterstützung gab es in solchen Fällen?

Bisher habe ich das vorsichtige Gefühl, dass zumindest der allergrößte Teil unserer Studierenden dies organisatorisch und finanziell meistern konnte – was mich sehr erleichtert. Es wird aber sicher auch bei uns Studierende geben, die in Schwierigkeiten geraten sind. Das ist etwas, was mich sehr bewegt. Ich stehe in Kontakt mit unserer Fachschaft, mal in die Studierendenschaft „hineinzuhören“, wo evtl. der Schuh drückt. Dann werden wir schauen, ob wir hier gezielt beraten und ggf. auch unterstützen können.

Die Freie Universität macht gerade eine Umfrage unter allen Studierenden und fragt persönliche Härten ab. Für Studierende in Not hält eigentlich das studierendenWERK Berlin einen Notfonds bereit. Dieser war aber leider sofort nach Ausbruch der Pandemie ausgeschöpft und nimmt derzeit keine neuen Anträge mehr an. Es laufen Spendenaufrufe für diesen Fonds und man hofft sehr auf zusätzliches Geld vom Berliner Senat.

Wird man von den neu erstellten Online-Formaten etwas künftig beibehalten?

Das werden wir evaluieren müssen, wenn die Pandemie dem Ende zugeht. Es wird sich sicher Einiges als übernehmenswert herausstellen. Manches wird sich vielleicht auch relativieren, wenn der Glanz des Neuen abgefallen ist. Die Universität geht mittlerweile davon aus, dass wir ohnehin auch im Wintersemester mit weiteren Einschränkungen der Präsenzveranstaltungen rechnen müssen. Es bleibt daher noch etwas Zeit, die Zukunft nach Corona zu planen. Die soliden Ausbildungsanteile am Tier werden aber sicher auch in Zukunft nicht durch virtuelle Lehre zu ersetzen sein.

Sophia Neukirchner
Transparenzhinweis: Die Autorin ist zum Zeitpunkt der Erscheinung des Artikels Doktorandin an der Tierklinik für Fortpflanzung der Veterinärmedizinischen Fakultät Berlin

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