Vetion.de: Lieber Herr Steidl, Sie geben Ihre Praxis nach nunmehr 37 Jahren auf. Was hat Sie dazu veranlasst und wie fühlen Sie sich dabei?
T. Steidl: Aufgrund glücklicher Umstände, u.a. Kurzschuljahre, war ich bereits mit 23 Jahren Tierarzt. Nicht nur als Tierarzt sollte man dann aufhören, wenn man es selber bestimmen kann. Da ich zusammen mit meiner Familie und meinem Praxispartner die Entscheidung selber getroffen habe, fühle ich mich bei der Entscheidung sehr gut.
Haben Sie die Ziele erreicht, die sie sich einst vorgenommen haben?
Strenggenommen
nein: Nach dem Studium wollte ich immer Pferdepraktiker in Norddeutschland
werden. Jetzt war ich 37 Jahre in der Kleintiermedizin in Süddeutschland tätig,
was mir sehr viel Freude gemacht hat. Der tierärztliche Beruf ist sehr breit
aufgestellt und man sollte am Anfang des Berufslebens nach allen Seiten offen
sein. Außerdem wollte ich immer versuchen, Praxis und Familie irgendwie unter
einen Hut zu bringen. Ich glaube, dass ich das zum größten Teil erreicht habe.
Jedenfalls nach Aussage meiner Kinder, von denen keines Tiermedizin studiert
hat.
Wie haben Sie Ihre Nachfolge geregelt?
Ich
glaube, dass die Nachfolgeregelung in jedem Beruf frühzeitig und schlau in die
Wege geleitet werden muss, wenn es für alle Beteiligten vorteilhaft verlaufen
soll – egal ob in einem Handwerksbetrieb oder in einer Arztpraxis. Die
Vorbereitung dieses Übergangs ist heute sehr viel wichtiger als noch vor 15
Jahren. Mein langjähriger Praxispartner und ich haben bereits vor Jahren auch mit
externer Unterstützung einen Übergabevertrag geschlossen, bei dem wir uns beide
in die Augen schauen können.
Werden Sie sich jetzt komplett aus der Veterinärmedizin zurückziehen oder der Veterinärmedizin anderweitig erhalten bleiben?
Aus
der Praxistätigkeit ja, da mache ich jetzt einen Schnitt. Mein Interesse gilt
nach wie vor der Berufspolitik. Ich bin noch für einige Jahre als Präsident der
Landestierärztekammer Baden-Württemberg im Amt, bin Chefredakteur einer
Fachzeitschrift und habe mich in den letzten Jahren vermehrt mit Gerichtlicher
Tiermedizin beschäftigt. Neben Gerichtsgutachten steht noch die Herausgabe
eines Fachbuchs auf dem Programm, ebenso die Organisation von
Fortbildungsveranstaltungen für die ATF.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Für
mich persönlich natürlich, dass ich noch möglichst lange zusammen mit meiner
Familie und meinen Freunden fit und aktiv sein kann. Aber da dies nicht in
meiner Hand liegt, bin ich froh und dankbar an jedem Tag.
Für
uns als „Beruf“ wünsche ich mir mehr Selbstbewusstsein. Wir arbeiten auf hohem
Niveau für die Gesundheit der Tiere, den Tierschutz und den Verbraucherschutz.
Wir sind keine Adnexe der Landwirtschaft, die uns schon lange nicht mehr als
gleichwertigen Partner versteht, sondern arbeiten als Heilberuf am
„one-world-on health“-Konzept mit. Die kommenden Probleme wie multiresistente
Erreger und Zoonosen lassen sich nur zusammen mit uns Tierärztinnen und
Tierärzten lösen.
Als tierärztlicher
Beruf werden wir von der Politik schon lange nicht mehr beachtet: Die aktuelle
Entwicklung wie z.B. bei der Ferkelkastration und insbesondere der Verzicht auf
den Narkosevorbehalt für den Tierarzt, belegen dies. Nur im Konzert mit den
anderen Heilberufen haben wir eine Chance, wahrgenommen zu werden und auf die
fake news hinzuweisen.
Was ist in Ihren Augen das dringendste Problem in der Veterinärmedizin bzw. unseres Berufsstandes, das wir angehen müssen?
Ein
großes Problem, das mittelfristig auf uns zukommt, ist die flächendeckende
Versorgung im Notfalldienst. Die Ursachen für dieses Problem sind
vielschichtig. Patentlösungen gibt es nicht und Lösungen müssen immer direkt
vor Ort gefunden werden. Die Versorgung der Tiere im Notfall ist auch eine
Frage des Tierschutzes, der bei uns im Grundgesetz verankert ist. Das kann aber
nicht bedeuten, dass die Realisierung des flächendeckenden Notfalldienstes nur
auf dem Rücken der Tierärzteschaft geladen wird – Politik und Gesellschaft sind
hier mit in der Pflicht.
Wie kann man dem viel beklagten Tierärzte-Mangel Ihrer Meinung nach begegnen?
Uns
allen ist klar, dass wir seit vielen Jahren für die Zulassung zum Studium die falschen
Kriterien heranziehen. Der Abiturdurchschnitt alleine sagt nicht darüber aus,
ob man ein guter Arzt oder eine gute Tierärztin wird. Berufsorientierende
Vorqualifikationen müssen vermehrt bei der Zulassung berücksichtigt werden.
Hierzu könnte auch gehören, dass ich mit einem schlechteren Abischnitt zum
Studium zugelassen werde, wenn ich mich verpflichte, nach dem Studium als
Landtierarzt zu arbeiten.
Was bedeutet für Sie Digitalisierung in Bezug auf die Veterinärmedizin? Welche Herausforderungen kommen hier auf den Berufsstand sowie auf die einzelnen Kollegen zu?
In
der Digitalisierung stecken wir doch alle bereits tief drin, egal ob wir in den
Universitäten oder Forschungseinrichtungen, der Privatpraxis oder der
Veterinärverwaltung arbeiten. Die Bereitschaft des Berufsstandes, sich digital
einzubringen, ist sehr groß. Das Problem sind weniger schnelle Datenautobahnen
als die Versorgung vor Ort. In unserer Praxis konnten wir seit 6 Wochen nicht
auf das Internet zugreifen, weil sich die IT-Beteiligten uneins waren, bei wem
es klemmt. Auch in puncto Datensicherheit hinken wir hinterher. Eine deutsche
veterinärmedizinische Hochschule wurde offensichtlich durch einen Hacker für längere
Zeit auf Eis gelegt.
Ist das Studium/Ausbildung noch zeitgemäß oder muss es angepasst werden an die neuen Herausforderungen?
In den vergangenen Jahren ist es schick
geworden, auf das Studium zu schimpfen und es für unzeitgemäß zu erklären.
Dabei denkt jeder, der schimpft, nur an seinen eigenen Sandkasten, weil er
meint, dass sein Fach das wichtigste ist und zu kurz kommt. Die jungen Leute,
die zu uns in die Praxis kommen, sind in der Regel gut ausgebildet. Praktische
Fähigkeiten müssen natürlich vorderhand in der Praxis vertieft werden. Das muss
jedoch auch den Absolventen klar sein, dass sie noch nicht direkt im ersten
Jahr erwarten können, komplizierte Eingriffe durchzuführen.
In unserem Beruf – wie in jedem anderen Beruf
– ist jeder für das verantwortlich,was er lernen und beherrschen möchte –
Eigenverantwortlichkeit und Eigeninitiative sind wichtig, nicht die Diskussion
um den besten Nürnberger Trichter!
Würden Sie Ihren Kindern empfehlen, Veterinärmedizin zu studieren und wenn, mit welcher Zielsetzung?
Ja,
wenn sie sich vorher über den Beruf informieren und sich fragen, ob dies ein
Beruf ist, in dem sie auch die nächsten 40 Jahre glücklich sein können. Die
Zielrichtung spielt keine Rolle – unser Beruf hat viele tolle Facetten!
Was möchten Sie den Kolleginnen und Kollegen mit auf den Weg geben?
Diese Frage klingt aber ganz schön pastoral.
Tierärztinnen und Tierärzte bilden einen normalen Querschnitt der Bevölkerung
ab. Ich glaube auch nicht, dass man hier spezielle Dinge „auf den Weg geben
sollte“. Das „Mensch zu sein“ gilt auch für die Kolleginnen und Kollegen in
meiner Nachbarschaft und dieses „Mensch sein“ kommt wie ein Bumerang zurück –
wie übrigens auch das „Nicht Mensch sein“.
Vielen Dank Herr Steidl und alles Gute für die Zukunft!