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Erstmals Zulassung für kultiviertes Fleisch in Europa beantragt

The Cultivated B (TCB), ein Tochterunternehmen der InFamily Foods Holding im nordrhein-westfälischen Versmold, hat als erstes Biotech-Unternehmen weltweit die EFSA-Zertifizierung für zellbasiertes Fleisch in Europa beantragt. „Der europäische Sektor für kultiviertes Fleisch verfügt über ein enormes Potenzial und erhebliche Wachstumschancen. In dem Maße, wie dieser Markt an Bedeutung gewinnt, ist es unser Ziel, den Zugang zu hochwertigem, nachhaltigem Fleisch für jedermann zu gewährleisten. Der Erhalt der EFSA-Zertifizierung ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung“, erklärte Dr. Hamid Noori, Geschäftsführer von TCB.

Die Zulassung wurde nach Angaben des Unternehmens für ein zellbasiertes Wurstprodukt beantragt, das den in Hot Dogs verwendeten Brühwürsten ähnelt. Hierbei handelt es sich um ein hybrides Wurstprodukt, das aus veganen Zutaten besteht, einschließlich erheblicher Mengen an kultiviertem Fleisch. Sollte das Produkt von Seiten der Europäischen Lebensmittelbehörde zugelassen werden, könnte dies die Grundlage für weitere Zertifizierungen von sogenanntem Laborfleisch sein.

Die Prüfung bei der EFSA gilt jedoch als besonders streng und aufwendig und könnte sich über viele Monate hinziehen. Neben Bedenken hinsichtlich der Lebensmittelsicherheit seitens der Konsument:innen seien die enormen Produktionsmengen, die die Lebensmittelindustrie benötigt, als größte Herausforderungen hinsichtlich zellbasiertem Fleisch zu sehen, heißt es bei TCB.

TCB

FAZ

Großanlage für In-vitro-Fleisch in Spanien

Mit dem Bau eines neuen Zentrums strebt der Fleischkonzern JBS die weltweite Führung im Bereich kultivierter Proteine an. In der nordspanischen Stadt San Sebastián haben die Bauarbeiten der weltweit größten Anlage für In-vitro-Fleisch begonnen. Die kommerzielle Produktion soll bereits Mitte 2024 starten. „Als weltweit größter Proteinproduzent liegt es in unserer Verantwortung, an der Spitze von Initiativen an der Schnittstelle von Lebensmitteln und Technologie zu stehen“, erklärte JBS-Direktor in den USA, Eduardo Noronha.

Im Dezember 2021 hatte der Konzern mit Sitz in Brasilien die Übernahme des spanischen Unternehmens Biotech Foods verkündet. In der neuen, großtechnischen Industrieanlage sollen nach Fertigstellung jährlich mehr als 1.000 Tonnen Kulturprotein produziert werden; mittelfristig könne die Kapazität auf 4.000 Tonnen erweitert werden, so JBS. Produkte wie Hamburger, Steaks, Wurstwaren oder Frikadellen sollen mit der gleichen Qualität, Sicherheit, Geschmack und Textur wie bei herkömmlichen Fleischprodukten erzeugt werden. Die Technologie habe das Potential, nicht nur Proteine von Rindern, sondern auch von Hähnchen, Schweinen und Fisch zu produzieren. Die Investitionskosten liegen bei rund 38 Millionen Euro. Das Unternehmen wird zudem im brasilianischen Bundesstaat Santa Catarina ein hochmodernes Zentrum für Biotechnologie und kultivierte Proteinforschung errichten. Ziel ist dort die Entwicklung einer hochmodernen, 100-prozentigen brasilianischen Technologie zur Herstellung alternativer Proteine.

Zudem hat das United States Department of Agriculture (USDA) in der vergangenen Woche die Kulturfleischprodukte der Firmen Upside Foods und GOOD Meat für den Verkauf in den USA zugelassen.

Schweizerbauer

Lebensmittelpraxis

Vetion-Fokusthema: Fleischlos glücklich

Konzepte für die zukünftige Welternährung

Die Weltbevölkerung wächst kontinuierlich. Laut der UN könnte schon im Jahr 2040 die 8,5-Milliarden-Marke erreicht werden. Expert:innen auf der ganzen Welt arbeiten daher mit Hochdruck an Konzepten für die Zukunft der Welternährung. „Essen muss auch noch in 20 Jahren günstig im Preis und gut für die Umwelt sein“, erklärte Professor Dr.-Ing. Marius Henkel jüngst auf einer Veranstaltung des Bayerischen Bauernverbands (BBV). Der Bioingenieur ist der erste Professor für zellulare Landwirtschaft in Deutschland mit einem Lehrstuhl in Weihenstephan. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Entwicklung von Bio-Scaffolding Technologien und skalierbaren Konzepten für kultiviertes Fleisch sowie die biotechnologische Herstellung von funktionellen Komponenten für Lebensmittel.

Nach Meinung des Experten ist die konventionelle Viehzucht und Futter-Generierung ineffizient. Bei der zukünftigen Lebensmittelerzeugung müssten sowohl Verfügbarkeit als auch Sicherheit, Ethik, Tierwohl und Lebensmittel-Gerechtigkeit in der Welt gewährleistet sein, so Henkel. „Essen muss auch noch in 20 Jahren günstig im Preis und gut für die Umwelt sein.“ Imitate aus pflanzlichen Rohstoffen wie Bohnen oder Tofu, Lebensmittel aus Biomasse sowie Fleisch aus Zellkulturen sind nach Meinung des Experten die Produkte der Zukunft, um Eiweiße in Form lebenswichtiger Proteine zu erhalten.

Während Henkel für Hybrid-Produkte und Erzeugnisse aus Präzisionsfermentation die größten Chancen sieht, glaubt er hingegen nicht an eine realistische Zukunft von kultiviertem Fleisch aus echtem tierischen Gewebe, da sich die Kosten auf einem weiterhin hohen Preisniveau bewegten und Fleisch aus dem Bioreaktor damit ein Exoten-Produkt bleiben würde. Eine ganz andere Meinung vertritt dazu Prof. Nick Lin-Hi von der Universität Vechta, der In-vitro-Fleisch als unausweichlich bei der zukünftigen Ernährung betrachtet. Der Wirtschaftsethiker glaubt, dass das klassisch erzeugte Fleisch schon bald von Fleisch aus dem Labor abgelöst werden könnte und spricht von einer Sprunginnovation, die das Potential haben, die erwähnten Hybrid-Produkte zu verdrängen.

Merkur

Vetion-Fokusthema Fleischlos glücklich

Zusammenfassung Futura.VET

Laborfleisch unausweichlich bei der zukünftigen Ernährung

Der Fleischkonsum muss massiv reduziert werden. Der Meinung ist unter anderem Prof. Nick Lin-Hi von der Universität Vechta. Der Wirtschaftsethiker sieht das klassisch erzeugte Fleisch als Auslaufmodell, das schon bald von Fleisch aus dem Labor abgelöst werden könnte. „Allerdings sehen wir, dass wir uns in Deutschland eher schwer mit solchen Innovationen und neuen Technologien tun. Wir stehen mit einem Fuß auf der Bremse. Unser Zeitfenster, um als Standort Deutschland eine Rolle in diesem Markt zu spielen, wird immer kleiner. Bis die Musik irgendwann in anderen Ländern spielt“, sagt Lin-Hi. Im Gegensatz zu anderen Ländern scheinen die Menschen in Deutschland und auch die Europäische Union mentale Schwierigkeiten mit elementaren Veränderungen zu haben. „Denken Sie nur an die Einführung der Gurtpflicht in den 70ern. Eine Katastrophe für viele: Beschneidung der Freiheit, das ist das Ende des Glücks, die ganze Welt geht unter. Das ist ein ganz typischer Mechanismus. Die älteren Generationen vertreten oftmals auch die Position: Das, was wir haben, haben wir uns erarbeitet – und das lassen wir uns nicht wegnehmen“, erklärte der Professor in einem Interview mit dem WDR.

„Konventionelles Tierfleisch, selbst mit unseren massiven Subventionen, ist irgendwann nicht mehr konkurrenzfähig. Die Herstellung im Labor ist wesentlich effizienter. Rechnen wir dann noch die ökologischen Kosten drauf, ist das Thema sowieso gegessen. Diese Entwicklung können wir nicht stoppen. Die Zukunft lässt sich nicht aufhalten“, so Lin-Hi. Seinen Berechnungen nach macht die Ernährung knapp ein Drittel der menschengemachten Treibhausgase aus. Die Hälfte dieser Emissionen stammen von tierischen Produkten. Da mit der wachsenden Weltbevölkerung auch der Bedarf an Fleisch ansteigen werde, könnten Innovationen wie In-Vitro-Fleisch dazu beitragen, den CO2-Ausstoß zu verringern. „Optimistische Studien prognostizieren im besten Fall ein Einsparpotential von 90 %: 90 % weniger Flächenverbrauch, 90 % weniger Wasserverbrauch, 90 % weniger Emissionen. Und In-Vitro-Fleisch könnte auch dabei helfen, kognitive Dissonanz aufzulösen“, so der Experte. Er befürchtet, dass Deutschland  den Anschluss an andere, weit aufgeschlossenere Ländern verlieren könnte. Wie beispielsweise Singapur, wo kultiviertes Fleisch seit 2020 zugelassen ist. Lin-Hi geht davon aus, dass Europa frühestens 2030 nachziehen wird.

Über In-vitro-Fleisch und seine Vorzüge sowie über die Auswirkungen auf die Nutztierhaltung sprach Prof. Lin-Hi auch auf der Futura.VET am 16. Februar 2023.

WDR

Vetion-Fokusthema Fleischlos glücklich