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Forschungsprojekt beleuchtet Zusammenhang zwischen Artenvielfalt und Zoonosen

Mehr als 200 Infektionskrankheiten, die von Tieren auf den Menschen und umgekehrt übertragen werden, sind weltweit bekannt. Die zurückgehende Artenvielfalt könnte die Zahl der Zoonosen noch steigen lassen. Um dieses Risiko besser abschätzen zu können, hat ein internationales Forschungsteam unter Leitung der Charité-Universitätsmedizin Berlin das Forschungsprojekt „Zoonosis Emergence across Degraded and Restored Forest Ecosystems” (ZOE) ins Leben gerufen.

Die Hauptursachen für das Entstehen von zoonotischen Infektionskrankheiten seien Massentierhaltung sowie der Handel und Verzehr von Wildtieren. Zudem fördere das Eingreifen des Menschen in natürliche Lebensräume von Wildtieren das Entstehen dieser Krankheiten. Unter anderem, weil durch Abholzung oder Städtebau das empfindliche Gleichgewicht des Ökosystems gestört werde.

„Wenn wir in Naturräume eingreifen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Tiere, die mit den neuen Umweltbedingungen besser zurechtkommen, sich stärker vermehren“, erklärt Prof. Jan Felix Drexler, Virologe an der Charité und Leiter des neuen Forschungsvorhabens. „Es gibt Hinweise, dass sich mit ihnen auch ihre Krankheitserreger vermehren, die potenziell für den Menschen gefährlich werden können.“

Die internationalen Forschenden verfolgen mit dem Projekt das Ziel, eine detaillierte Kartierung der Biodiversität in Waldgebieten, in die der Mensch unterschiedlich stark eingegriffen hat, zu erstellen. In den ursprünglichen Wäldern sowie entwaldeten und renaturierten Flächen in Guatemala, Costa Rica, Slowenien und der Slowakei werden dafür Nagetiere, Zecken und Mücken – als häufige Träger zoonotischer Erreger – mittels moderner Sequenziertechniken auf das Vorhandensein verschiedenster Bakterien und Viren getestet. Blutproben, die von in der Nähe lebenden Menschen genommen werden, können außerdem darlegen, wie viele dieser Erreger bereits übertragen worden sind.

„Aus diesen sehr unterschiedlichen Daten werden wir statistische Modelle entwickeln“, sagt Drexler. „Sie sollen Aussagen darüber treffen, wie stark das Risiko zoonotischer Erkrankungen abhängig vom Grad der Landnutzungsänderungen und dem Verlust der Biodiversität steigt. Wir erhoffen uns außerdem Erkenntnisse zur Wirkung von Renaturierungsmaßnahmen. Besonders wichtig ist uns, dieses Wissen den Menschen lokal vor Ort, aber auch der breiten Öffentlichkeit – einschließlich Umweltschutzorganisationen – zugänglich zu machen und gemeinsam Empfehlungen zu entwickeln. So wollen wir dazu beitragen, dass das Risiko von neuen Zoonosen direkt vor Ort erkannt und begrenzt werden kann – als ein Baustein zur Vermeidung künftiger Epidemien.“

Charité

Fleischkonsum und Tierhaltung weltweit gewachsen

Dem gefühlten Trend hin zu weniger Fleischkonsum bzw. kompletten Verzicht zum Trotz, hat der jährliche Fleischverbrauch pro Kopf im vergangenen Jahrzehnt um rund 1 Kilo zugenommen. Lag der durchschnittliche weltweite Jahreskonsum 2010 laut FAO bei 41,6 Kilogramm pro Kopf, waren es 2020 rund 42,8 Kilogramm. Um die Nachfrage nach Fleisch und anderen tierischen Produkten zu decken, wurde die Tierhaltung global stark ausgeweitet. Weltweit stieg die Zahl der gehaltenen Hühner von 14,4 Milliarden im Jahr 2001 auf rund 25,9 Milliarden im Jahr 2021. Das entspricht einem Anstieg um 79 %. Auch der Bestand an Rindern, Schafen, Enten, Ziegen und Schweinen wuchs in diesem Zeitraum stetig und es wurden im Jahr 2021 weltweit rund 357,4 Millionen Tonnen Fleisch erzeugt. Das war ein Anstieg um 51 % gegenüber dem Jahr 2001. Die Geflügelfleischproduktion wurde in diesem Zeitraum beinahe verdoppelt.

Problematisch ist, dass die intensive Nutztierhaltung durch einen hohen Flächen- und Wasserverbrauch, belastete Böden und Gewässer gekennzeichnet ist und mit ihren Emissionen zum Klimawandel beiträgt. Ein Grund ist neben einer stetig wachsenden Weltbevölkerung auch der wachsende Wohlstand in vielen Schwellen- und Entwicklungs­ländern, was sich auf das Ernährungsverhalten auswirkt. Laut einer neuen Studie des UN-Umweltprogramms (UNEP) beansprucht die Tierhaltung weltweit inzwischen 78 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche. Die fortschreitende Ausdehnung der Acker- und Weideflächen zerstört natürliche Lebensräume und geht zu Lasten der Biodiversität. Dünger und Pestizide verschärfen die Situation weiter. Zudem tragen die aus der Tierhaltung resultierenden Treibhausgasemissionen in nicht unerheblichem Maße zum Klimawandel bei, heißt es in einem Artikel des Statistischen Bundesamtes (Destatis) vom 29. September 2023. Um effektiv gegenzusteuern, ist laut der UNEP-Studie „Food system impacts on biodiversity loss“ eine stärker pflanzenbasierte Ernährung und eine Umstellung der Lebensmittelproduktion notwendig.

Destatis

Biodiversität in Tropenwäldern mit KI messen

Neben ihrer großen Bedeutung für den globalen Kohlenstoffkreislauf und das Weltklima, sind tropische Wälder durch eine extrem hohe Vielfalt an Pflanzen- und Tierarten gekennzeichnet. Durch die massive Abholzung sowie den Raubbau nimmt diese Biodiversität jedoch stetig ab und die Bedeutung von Wiederbewaldungsflächen nimmt zu. Für die Einschätzung der Entwicklung der Artenvielfalt auf solchen Flächen könnte der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) unterstützend wirken.

Einer Forschergruppe unter Leitung der Würzburger Julius-Maximilians-Universität (JMU) ist es gelungen, anhand von Tonaufnahmen und KI-Modellen die Biodiversität auf tropischen Wiederbewaldungsflächen zu messen. Dazu haben die Wissenschaftler:innen im Norden Ecuadors auf aufgelassenen Weiden und früheren Kakaoplantagen mit Hilfe von autonomen Soundrecordern und KI-Modellen die Zusammensetzung der Artengemeinschaften von Vögeln, Amphibien und Säugetieren untersucht.

„Die Forschungsergebnisse zeigen, dass die Sounddaten ganz exzellent die Rückkehr der Biodiversität in den aufgelassenen Landwirtschaftsflächen widerspiegeln“, erklärt Prof. Jörg Müller von der Ökologischen Station Fabrikschleichach der JMU, der zusammen mit Oliver Mitesser die Studie geleitet haben. Die Forschenden fanden heraus, dass die Tierlaute der Artengemeinschaften die Wiederbesiedlung sehr gut abbilden – denn diese Gemeinschaften sind im Wald ganz charakteristisch zusammengesetzt und unterscheiden sich deutlich von denen auf noch aktiven Agrarflächen.

Ein Set von 70 KI-Vogelmodellen war in der Lage, die gesamten Artengemeinschaften von Vögeln, Amphibien und einigen rufenden Säugetieren zu beschreiben. Selbst die Veränderungen bei Nachtinsekten konnten damit sinnvoll korreliert werden. Geplant sei nun, die verwendeten KI-Modelle weiter zu verbessern und das Set an Modellen zu erweitern, um noch viel mehr Arten automatisch erfassen zu können, so Müller. „Unsere KI-Modelle können die Basis für ein sehr universelles Instrument zur Überwachung der Biodiversität in Wiederbewaldungsflächen sein“, sagt der Wissenschaftler abschließend.

JMU

Kampf gegen invasive Arten muss verstärkt werden

Invasive gebietsfremde Tier- und Pflanzenarten haben sich in den letzten Jahrzehnten massiv ausgebreitet und verursachen schwerwiegende, teils irreversible Veränderungen der biologischen Vielfalt. Der neue „Assessment Report on Invasive Species and their control“ des Weltbiodiversitätsrates IPBES legt sowohl Belege und Instrumente sowie Optionen für den Umgang mit gebietsfremden Arten dar. „Invasive Arten sind – neben dem Land- und Meeresnutzungswandel, der direkten Ausbeutung von Arten, dem Klimawandel und der Verschmutzung – eine der fünf gewichtigsten Ursachen für den weltweiten Verlust der biologischen Vielfalt“, erklärt Dr. Hanno Seebens vom Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum Frankfurt.

„Global sehen wir, dass invasive Arten ein Hauptfaktor für 60 Prozent sowie der einzige Auslöser für 16 Prozent des weltweiten Aussterbens von Tieren und Pflanzen sind. Mindestens 1.200 Aussterbeereignisse von Tieren und Pflanzen können direkt auf 218 invasive Arten zurückgeführt werden“, betont Seebens. Der Wissenschaftler, der gemeinsam mit weiteren 85 Expert:innen in den vergangenen 4 Jahren mehr als 13.000 Quellen ausgewertet hat, mahnt zur Implementierung und Kontrolle von Maßnahmen, um bestehende Wissenslücken zu schließen. Die Analysen machten auch deutlich, dass sich negative Effekte auf die Lebensqualität der Menschen häuften. Ein großer Treiber der Verbreitung invasiver Arten seien Transport und Tourismus.

„Unsere Natur ist nicht nur durch die Klima- und Verschmutzungskrise, die veränderte Landnutzung und -übernutzung bedroht, sondern auch durch invasive gebietsfremde Arten. Sie konkurrieren mit hiesigen Arten um Nahrung und Lebensraum, sie sind Fressfeinde von einheimischen Arten und können Krankheiten auf diese übertragen. So gefährden sie unsere biologische Vielfalt und Natur. Damit invasive gebietsfremde Arten nicht eingeführt werden oder sich über die Landesgrenzen hinaus ausbreiten können, ist eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit nötig. Prävention, Früherkennung und Management sind hierbei besonders wichtig. Die Erkenntnisse des neuen Berichts des Weltbiodiversitätsrates helfen uns, hiesige Arten besser zu schützen und damit auch die Ziele des globalen Naturschutzabkommens, das letztes Jahr in Montreal beschlossen wurde, umzusetzen”, betont Bundesumweltministerin Steffi Lemke.

Laut Analysen sind die weltweiten Kosten für die negativen Auswirkungen sowie die Prävention und das Management invasiver gebietsfremder Arten explodiert. Im Jahr 2019 wurden diese auf über 423 Milliarden USD beziffert. Zudem vervierfachen sich die Kosten alle 10 Jahre. „Positiv können wir hervorheben, dass künftige biologische Invasionen, das Ansiedeln invasiver Arten und ihre Auswirkungen durch ein wirksames Management und stärker integrierte Ansätze verhindert werden können. Es gibt fast für jeden Kontext und jede Situation Managementinstrumente, Steuerungsoptionen und gezielte Maßnahmen, die wirklich funktionieren“, erläutert Seebens abschließend.

Bundesumweltministerium

Senckenberg

Ermittlung der Biodiversität mit Hilfe von Wattestäbchen

Mit Hilfe von Wattestäbchen-Proben von Blättern könnte die Artenvielfalt auch in schlecht zu kontrollierenden Regionen erfasst werden. Zu diesem Ergebnis kamen Wissenschaftler:innen vom Helmholtz-Institut. Das Team um Jan Gogarten und Molekularökologin Christina Lynggaard von der Universität Kopenhagen hatten in einem dichten tropischen Regenwald in Uganda mit Wattestäbchen Proben von Blättern genommen und so eine große Vielzahl von unterschiedlichen Tier-DNAs finden können. In jedem der 24 verwendeten Wattestäbchen fanden die Forscher:innen die DNA von durchschnittlich etwa acht Tierarten.

Über ihren Fund waren die Forschenden positiv überrascht. Zwar war den Wissenschaftler:innen bekannt, dass sich die Artenzusammensetzung bereits durch kleinste DNA-Mengen feststellen lässt. Doch waren aber zunächst davon ausgegangen, dass die DNA bei dem heißen und feuchten Klima im Regenwald schnell abgebaut werden würde. „Die Vielzahl der nachgewiesenen Tierarten und die hohe Nachweisquote pro Wattestäbchen zeigen, dass tierische DNA problemlos von Blättern abgetupft und anschließend analysiert werden kann“, erklärt Gogarten.

„Diese Methode könnte in größerem Maßstab als Informationsgrundlage dienen, um Biodiversität sowie ihre Verluste zu erfassen und daraus Strategien für das Wildtiermanagement abzuleiten.“ Um Krankheitsübertragungen überwachen zu können, könnte die Wattestäbchen-Methode zudem in Gebieten zum Einsatz kommen, in denen Kontakte zwischen bestimmten Wildtieren und Menschen wahrscheinlich sind.

Spektrum

Bedrohung durch invasive Insektenarten wächst

Immer mehr Tier- und Pflanzenarten siedeln sich in gebietsfremden Arealen an. Einige dieser Arten sind werden als invasiv eingestuft, das heißt, sie verbreiten sich stark, verdrängen nach und nach einheimische Arten und bedrohen so die Biodiversität. Alleine in der Europäischen Union (EU) schätzen Experten die Zahl der sogenannten gebietsfremden Arten (Neobiota) auf etwa 12.000, von denen etwa 10 bis 15 Prozent als problematisch gelten. Mit den eingeschleppten Insekten wächst auch in unseren Breitengraden die Gefahr von Infektionskrankheiten, wie dem Dengue-Fieber, Zika oder Chikungunya, die von der Asiatischen Tigermücke übertragen werden. Zwischen der Einfuhr von exotischen Pflanzen und Insekten gibt es eine zeitliche Verzögerung, die Forschende der Universität Lausanne als Zeitbombe bezeichnen. In einer aktuellen Studie haben sie die Fälle, in denen die Wirtspflanzen bereits in neuen Breitengraden angesiedelt sind, die dazugehörigen Insekten jedoch noch nicht entdeckt wurden, berechnet.

Die Schweizer Wissenschaftler:innen haben diese sogenannte Invasionsschuld auf 3.400 Insekten beziffert, was einer weltweiten Zunahme um 35 Prozent entspräche. Für unsere Breitengrade, die Europäische Paläarktis, berechneten die Forscher:innen eine Invasionsschuld von 417 Insektenarten. „Diese Zahlen sind umso erschreckender, als sie nur die Invasionsschuld zu einem bestimmten Zeitpunkt quantifizieren: 2010“, erklärte Studienautorin Cleo Bertelsmeier. „Sie berücksichtigen die Tatsache nicht, dass wir trotz eines gewissen Bewusstseins auch heute noch exotische Pflanzen einschleppen. Die daraus resultierenden Einschleppungen von Insekten werden also höchstwahrscheinlich weiter zunehmen“, betont die Forscherin.

Schweizerbauer

Universität Lausanne

NABU