Zufriedene Köpfe des Kongressbüros: Prof. Helga Pfannkuche, Prof. Gotthold Gäbel, Dr. Reiko Rackwitz
Rund 5.400 Tierärztinnen und Tierärzte sind zu Fortbildungszwecken zum 9. Leipziger Tierärztekongress gefahren
Am Stand der IDT auf der angeschlossenen vetexpo herrschte immer reges Treiben
Das gibt es nur in Leipzig: Musikalische Einlage der VMF-Studenten (Foto: Sophia Neukirchner)
Auch Nischenthemen wurden gern besucht, wie dieser Workshop zu Kommunikation in der Tiermedizin von Dr. Dora Bernigau (Foto: Sophia Neukirchner)
Das Messezentrum Leipzig - eine ästhetische Meisterleistung und scheinbar ein Ort, an den Tierärzte gerne zurückkehren
Egal ob Schweinepraktiker, TFA oder Student – über ein Thema konnten auf dem 9. Leipziger Tierärztekongress (LTK), der vom 18. bis 20. Januar 2018 stattfand, alle reden: Sturmtief „Friederike“, ihres Zeichens hierzulande schwerster Orkan seit elf Jahren. Sie blies am ersten Kongresstag nicht nur die blau-weiß-roten Fahnen vor der Glaskuppel der Leipziger Messe wild flatternd in die Höhe. Windgeschwindigkeiten von gut 200 Kilometern pro Stunde sorgten auch für zahlreiche Unterbrechungen im Bahn- und Flugverkehr und damit für eine erschwerte Anreise zum größten Weiterbildungsveranstaltung für Tierärzte im deutschsprachigen Raum – dennoch wurden mit 5.400 Gästen erneut Rekordbesucherzahlen erreicht.
Wichtige Themen in diesem Jahr waren die Sorgen der angehenden Tierärzte zu Bezahlung und Work- Life-Balance, Feminisierung des Berufsstandes und die damit in der Summe auftretenden strukturellen Probleme für Praxisinhaber als Arbeitgeber jetzt und in Zukunft.
Weiterer inhaltlicher Schwerpunkt war die Afrikanische Schweinepest (ASP) als aktuelle und ernstzunehmende Bedrohung deutscher Wild- und Hausschweinebestände. Aber auch die Änderungen der Tierärztlichen Hausapothekenverordnung (TÄHAV) und das von der Deutschen Veterinärmedizinischen Gesellschaft organisierte Symposium zu Qualzuchten zählten unter den insgesamt 470 theoretischen und praktischen Fortbildungsveranstaltungen zu den best besuchtesten.
Neben Fachvorträgen zu Pferd, Schwein, Wiederkäuer, Kleintier, Nutzgeflügel, Bienen, Fische, Heim-, Versuchstieren und Exoten wurden dem Besucher auch spezielle Nischenthemen geboten wie Krallenaffentraining, Kommunikation als Herausforderung in der Praxis und Geschichte der Veterinärmedizin.
Generationskonflikt und Verdienstmedaille an Dr. Hans-Georg Möckel
Los ging es am Donnerstag mit der
Auftaktveranstaltung zum Thema
„Tiermedizinischer Nachwuchs: „Lust,
Frust, Perspektiven“. Moderiert wurde
diese von der Journalistin Christina
Hucklenbroich, welche unter anderem eine Studie
vorstellte, in der ein Drittel der Befragten
angab, sich nicht wieder für den Beruf
Tiermedizin zu entscheiden. Florian Diehl vom
Bundesverband Veterinärmedizinstudierender in
Deutschland e. V. (bvvd) beklagte das
theorielastige Studium und die demotivierende
Aussicht auf -seiner Ansicht nach – schlechte
Bezahlung für viel Arbeit danach. Er sagte,
„Tiermedizinstudenten seien nicht mehr bereit,
bedingungslos leistungsbereit zu sein“ und auch
Nein sagen, könne eine Maxime sein.
Prof. Martin Kramer von der
Deutschen Veterinärmedizinischen Gesellschaft
(DVG) stellte fest, dass die Auseinandersetzung
mit dem Nachwuchsmangel (besonders in der
Nutztierpraxis), der sich daraus ergibt,
jahrelang verschleppt wurde. In diesem
Zusammenhang wurden auch die
Zulassungsbedingungen für das Studium genannt,
die die Interessierten teilweise von vornherein
ausschließen und eine Quote von bis zu 90
Prozent weiblichen Tiermedizinstudenten in den
Matrikeln erzeuge.
Ines Leidel,
Großtierärztin aus Naundorf, konkretisierte
unter dem Motto „Tiermedizin ist weiblich!“ das
Thema: „Mittlerweile gibt es mehr Tierärztinnen
als Tierärzte und damit müssen wir umgehen.“ Sie
sprach etwa die Tatsache an, dass viele
Praktiker die Anstellung von potentiellen
Schwangeren und Müttern als Problem für den
Arbeitsalltag sehen und stellte Lösungsansätze
aus ihrem kinderreichen und weiblichen
Nutztierpraxisteam vor.
In der folgenden Podiumsdiskussion wurde eine deutliche Divergenz in den Werten und Wünschen der älteren Arbeitgeber und der jungen Arbeitnehmer deutlich. Es wurde jedoch auch mit zahlreichen Vorurteilen über die „Generation Y“ aufgeräumt.
Das sich anschließende berufspolitische Forum
befasste sich deshalb mit „Wegen zu
Erfolg und Zufriedenheit in der Praxis“
und damit, den „Wandel aktiv zu gestalten“.
Ausgerichtet wurde dieses von der Berliner
Tierärztekammer, die in diesem Jahr die
Schirmherrschaft des Kongresses inne hatte: „Wir
müssen in Zukunft andere Wege gehen“, sagten die
Redner da und beleuchteten Arbeitszeitreduktion
und notwendige BWL-Fortbildungen der Tierärzte.
Berlins erste Tierschutzbeauftragte,
Diana Plange, stellte zudem die
Themen, die die Tierärzte der Hauptstadt aktuell
beschäftigen, vor.
Im Zuge der
Eröffnungsveranstaltung wurde außerdem Dr. Hans-
Georg Möckel die Verdienstmedaille der
Sächsischen Landestierärztekammer
verliehen.
Zeit für die Jugend und stetiges Wachstum
Auch nach dem Auftakt wurden die Sorgen angehender Tierärzte auf dem diesjährigen LTK reichlich gehört. So fand sich auch im Wiederkäuertrack ein Vortrag zum Generations- und Paradigmenwechsel, es gab Niederlassungsberatung und Vorträge zu alternativen Berufswegen, besonders in der Industrie. Rosa Hofmann vom Fachschaftsrat (FSR) der VMF lobte die Auftaktveranstaltung als „wirklich gelungen“. „Leider konnten jedoch gerade am Donnerstag, als die Podiumsdiskussion stattfand, viele Studenten nicht am Kongress teilnehmen.“ In diesem Jahr waren erstmalig die Karten für einen Tag, eben den Donnerstag, im Voraus ausverkauft – bereits einen Monat zuvor. Es wurde bemängelt, dass eine ausreichende Kommunikation darüber, dass die Karten knapp werden, vor dem Ausverkauf nicht erfolgt ist.
Seit seinem Beginn im Jahre 1998 wächst der Leipziger Tierärztekongress stetig. Im Jahr 2016,zum vorangegangenen Kongress, waren es 5.000 Gäste, nun reisten bereits 400 mehr an. Seit 1998 wird der Kongress in Kooperation der Leipziger Veterinärmedizinischen Fakultät (VMF), der sechs ostdeutschen Landestierärztekammern und bald nach Beginn auch der Leipziger Messe veranstaltet und seitdem vergrößert sich der Fachkongress und die angeschlossenen Industrieausstellung Vetexpo mit jedem Mal mehr. Das wirft die Fragen auf, ob ein weiteres Wachstum dem LTK gut tut oder ob die Kapazitätsgrenzen erreicht sind. Prof. Gotthold Gäbel, Kongresspräsident und Leiter des Veterinär-Physiologischen Institutes an der Veterinärmedizinischen Fakultät Leipzig, sagte dazu zur Pressekonferenz am 17. 1., dass der Wunsch nach weiterem Wachstum bestehe. Es gäbe bereits „Pläne“ dafür. Diese seien aber noch nicht reif, kommuniziert zu werden.
Martin Buhl-Wagner, Geschäftsführer der Leipziger Messe GmbH,sagt, dass dies „konzeptionell schon realisiert werden“ könne. Teilweise liefen 2018 bis zu 17 Vorträge parallel.
Die Möglichkeit, einfach zwischen diesen zu
wechseln, wurde von den Besuchern als positiv
empfunden, ebenso die hohe Qualität dieser durch
Referenten aus 15 verschiedenen Ländern
gestalteten Veranstaltungen. Hinzu kamen
Workshops auf dem Gelände der VMF. Eine
App erleichterte in diesem Jahr
erstmals die Orientierung im Programm.
Liveübertragungen in andere
Vortragsräume fanden bei Platzmangel Anwendung.
Bedingt durch den Orkan blieben manche
Rednerpulte leer, jedoch funktionierte der
Ersatz durch Kollegen oder Telefonzuschalten „in
den aller meisten Fällen“ laut Prof. Helga
Pfannkuche vom Kongressbüro „ohne Probleme“,
beispielsweise bei Peter Cremer-Schaeffers
Vortrag zu Betäubungsmitteln im
Arzneimittelrecht.
Größtes Klassentreffen der Veterinärmedizin
Trotz der Größe wird der Kongress weiterhin liebevoll als „Klassentreffen der Veterinärmedizin“ bezeichnet. So gehört etwa Maren Otto aus Herfurth zu den Tierärzten, die nach ihrem Studium in Leipzig den Weg zurück in die Messestadt fanden: „Es ist schön wieder hier zu sein. Ich besuche den Kongress immer wieder gern, weil man viele alte Bekannte trifft.“ Und auch für ihren Hund „Chanel“ sei der Kongressbesuch „entspannt“.
Meet-and-greet fand nicht nur auf dem Kongress, sondern auch auf der angeschlossenen Industrieausstellung Vetexpo statt; hier oder auf der traditionellen IDT-Kongressparty am Freitagabend in der Moritzbastei bei einem Freibier oder auch auf dem Fasching der Tiermediziner am Freitag und Samstag im TV-Club.
Rosa Hofmann vom hiesigen FSR berichtete, dass sie wie auch viele Kommilitonen den Leipziger Tierärztekongress gern für das Knüpfen von nützlichen Kontakten für das spätere Berufsleben nutzt und schätzt. Und dafür gab es ausreichend Auswahl: Auf der diesjährigen Vetexpo waren 241 Aussteller aus 16 Ländern vertreten, 2016 waren es noch 210. Zu den 60 Neuausstellern in diesem Jahr gehörte etwa ein Schweizer Anbieter für ein Langzeit-EKG-System beim Pferd oder ein Hersteller für Hunderollstühle mit Hauptsitz in Taiwan. Zu den Ausstellern der ersten Stunde gehört nicht nur der größte Sponsor der Veranstaltung, die IDT Biologika, sondern u.a. auch der Ultraschallgerätehersteller Easote. Hinter dem Verkaufstresen stand Roland Trosien, der sagt: „Leipzig ist eine sehr wichtige und internationale Messe. Tierärzte aller Arten und aus ganz Deutschland sind hier vertreten.“ Auch zahlreiche Vorträge wurden von der Industrie ausgestaltet oder gesponsert. Einen zu starke Einflussnahme sieht Prof. Gäbel jedoch nicht: „Ohne die Querfinanzierung der Industrie geht es nicht. Unternehmen können Referenten in Vortragsblöcken benennen. Wir versuchen jedoch so gut es geht mittels internem Controlling sicherzustellen, dass keine Produktplatzierung geschieht.“
Als Mitorganisator des Tierärztekongresses trat die Veterinärmedizinische Fakultät Leipzig mit dem größten Stand auf der Vetexpo auf. Einen Großteil dieser Präsentation, nahm die Vorstellung des „Praktischen Ausbildungs- und Lernzentrums PAUL“ ein. Projektkoordinator Dr. Ronny Bindl, 9. Fachsemester, erklärte, wieso: „PAUL ist in den vergangenen Jahren deutlich gewachsen. Es sind zahlreiche neue Simulatoren und Stationen der Klinik, Vorklinik und Paraklinik hinzugekommen, die wir den Besuchern vorstellen wollen.“ So sah man etwa anatomische Präparate, Simulatoren zur Reanimation von Hund und Katze und eine Station zur Futtermittelanalyse. Besondere Aufmerksamkeit erregte das lebensnahe Dystokiemodell des Rindes: „Das ist sicher eine sehr gute Sache. Schön, wenn die Studenten Geburtshilfe so schon lernen, bevor sie in die Praxis kommen“, sagte etwa Bettina Janhke, Großtierpraktikerin und Leipziger Absolventin, die sich mit ihrer Kollegin Kathrin Kramer das Modell von einer Studierenden erklären ließ.
Den Abschluss bildete das von der DVG organisierte Symposium zu Qualzuchten, in dem die jüngsten Initiativen der deutschen Tierärzteschaft besonders zu brachycephalen Rassen aufgelistet wurden. Kritisch angemerkt wurde aus dem Publikum, dass solch eine Veranstaltung am Samstagabend fehl platziert sei. Ebenfalls aus dem Publikum positionierte sich Prof. Gerhard Oechtering klar gegen einen zu sanften und langsamen Umgang mit den Zuchtvereinen, den Prof. Axel Wehrend als Referent der DVG an diesem Abend als richtigen Weg sah. Dr. Friedrich Röcken, Leiter der DVG- Arbeitsgruppe „Qualzucht“, und Prof. Martin Kramer appellierten an den Zusammenhalt der Tierärzteschaft: „Wir haben schon viel geschafft, es gibt noch viel zu tun, aber gemeinsam können wir das schaffen.“
Fazit
Der Leipziger Tierärztekongress ist sowohl fachlich wie gesellschaftlich immer eine Reise wert. Hier stimmt Organisation, Fach- und Rahmenprogramm, eingebettet in ein tolles Ambiente auf der Messe sowie in der Bastei.
Eine Bildergalerie zu den drei Kongresstagen findet ihr auf unserer Facebookseite und Livetweets unter #9LTK.
In der nächsten Zeit werden wir einige Vortragsthemen auf Vetion.de näher beleuchten.