Die Tierärztekammer Berlin hatte am 25. April 2015 zur Fortbildungsveranstaltung „Gleiches Recht für Alle? Welche ethischen Grundsätze sollen die Tierärzteschaft leiten?“eingeladen. Der Grund: Seit einigen Jahren hat ein Wertewandel in der Gesellschaft eingesetzt. Auf der einen Seite stehen die Menschen, die Tiere zur Produktion von Gebrauchsgütern halten und auf Rentabilität achten müssen. Demgegenüber steht eine Gruppe von Menschen, die Tiere aufgrund ihrer Leidensfähigkeit als moralisch im Grundsatz gleichberechtigte Lebewesen wahrnimmt. Aber auch zwischen den gehaltenen Tierarten selbst gibt es signifikante Unterschiede in der Wertigkeit. So wird in der Heimtierhaltung nicht selten eine Behandlung um jeden Preis eingefordert, während in der Landwirtschaft die Wirtschaftlichkeit im Vordergrund steht.
Zur Diskussion dieser Thematik kamen Tierärzte aus Wissenschaft und Praxis in den Hörsaal in der Koserstraße zusammen, was bei einigen Teilnehmern durchaus Erinnerungen an die Studienzeit hervorrief. Der Saal war gut gefüllt, nur wenige Plätze blieben frei an diesem Samstag.
Einleitende Worte aus der Politik und eindringliche Worte aus der Ethik
Die Bedeutung der Thematik unterstrich die einleitende Rede der Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Maria Flachsbarth. Sie betonte, dass der Tierarzt in der allgemeinen Wahrnehmung häufig auf seine kurative Tätigkeit beschränkt wird und Maßnahmen zur Vorbeuge von Schmerzen, Leiden oder Schäden weniger wahrgenommen würden. Schwieriger als Tiere zu heilen sei es jedoch, für gute Haltungsmaßnahmen zu sorgen und Präventivmaßnahmen einzuleiten. „Meiner Meinung nach ist nicht entscheiden, wie viele Tiere gehalten werden, sondern wie sie gehalten werden“, betonte die Tierärztin. Die Politikerin wies abschließend noch einmal darauf hin, dass es nicht das Ziel sein könne, Nutztierhaltung aus Deutschland zu vertreiben, da eine Auslagerung der Fleischproduktion in andere Länder nicht im Sinne des Tierschutzes sei.
Weiter ging es mit einem Vortrag zur Beleuchtung des Berufsethos aus juristischer Sicht, der aufgrund von Erkrankung der Vortragenden Dr. Davina Bruhn kurz von Herrn Prof. Dr. Jörg Luy erläutert wurde. Der Professor ging anschließend nahtlos über in seinen Vortrag zu ethischen Grundsätzen, die in Bezug auf Tiere Relevanz haben. Wie gewohnt erläuterte Herr Prof. Luy die Theorien erfrischend anschaulich, sodass die versammelte Tierärzteschaft gebannt zuhörte.
Nachfolgend führte Frau Dr. Frederike Schmitz ein Gedankenspiel an, mit dem sie einmal einen Blick von außen auf das System Nutztierhaltung warf, um sich darüber klar zu werden, dass dieses System nicht selbstverständlich besteht. Im Mittelpunkt ihrer Ausführungen stand dabei die Überlegung, dass sich aus ethischer Sicht die Interessen der Tiere nicht mit den ökonomischen Zielen der Landwirte vereinbaren lassen.
„Vernunft und Gefühl sind keine Gegensätze, sondern Ausdruck des Menschseins“
Nach der Mittagspause, in der die Teilnehmer hervorragende Häppchen sowie die Sonne genossen, ging es mit dem 2. Vortragsblock weiter, der ganz den Schweinen und Rindern gehörte. Einleitend fand Frau Dr. Anita Idel vom Tierärztlichen Forum für verantwortbare Landwirtschaft deutliche Worte: „Wir haben heute zunehmend Höchstleistungen nicht wegen der Gesundheit, sondern trotz Krankheit!“ Man müsse nicht erst bei den Haltungsbedingungen ansetzen, sondern bereits bei der Zucht der eingesetzten Tiere. Außerdem stimmte sie in den Aufruf von Frau Schmitz ein: „Vernunft und Gefühl sind keine Gegensätze sondern Ausdruck des Menschseins.“ Einig ist sie sich mit Herrn Prof. Dr. Holger Martens und Dr. Rupert Ebner darüber, dass ein Umdenken passieren muss. Dies sollte der Tierarzt durch Aufzeigen der Missstände und Entwicklung neuer Ideen voranbringen. Einfach nur weiterhin kurativ tätig zu sein, unterstütze stattdessen den Fortbestand eines „kranken“ Systems. Sowohl Prof. Martens als auch Dr. Ebner setzten sich in ihrer Rede leidenschaftlich für die Verbesserung der Zucht bei Rindern hin zu mehr Langlebigkeit und Gesundheit ein. „So wie wir mit den Kühen umgehen, dürfen wir mit den Kühen nicht umgehen!“, brachte es Prof. Martens schließlich auf den Punkt.
Wie sieht die tierärztliche Ethik aus?
Ethik-Codex oder rechtliche Normierung? Nach einer kurzen Kaffeepause leitete Dr. Heidemarie Ratsch den dritten Vortragsblock ein, indem sie eine Umfrage unter Berliner Tierärzten vorstellte. Aufgrund der geringen Teilnehmerzahl von 138 Personen kann das Ergebnis zwarnicht als repräsentativ gelten, die Ergebnisse deuten aber daraufhin, dass sich ein großer Teil der Tierärzteschaft aufgrund der Ungleichbehandlung von Haus- und Nutztieren in ihrem Gerechtigkeitsempfinden verletzt sieht (ca. 74%).
Derzeit wird diskutiert, einen ähnlichen Fragebogen an einen größeren Teil der Tierärzteschaft zu schicken, um mehr repräsentative Informationen über das moralische Empfinden zu bekommen.
Als Einleitung in die Abschlussdiskussion gab Frau Kerstin Weich vom Messerli Forschungsinstitut der Veterinärmedizinischen Universität Wien einen Einblick zu Recht und Moral in der Tiermedizin aus Sicht der Ethiker. Frau Weich stellte vor allem die Vor- und Nachteile einer moralischen Normierung, wie z.B. einem Ethik-Codex, der rechtlichen Normierung durch die Berufsordnung gegenüber.
Zum Abschluss eine rege Diskussion über den Ethik-Codex
Die Abschlussdiskussion driftete von Beginn an zu einer Diskussion um den Ethik-Codex ab, der auf dem kommenden Tierärztekongress in Bamberg vorgestellt werden soll. Bei den Anwesenden stößt der Entwurf, der von der Ethik-Arbeitsgruppe der BTK erarbeitet wurde, weitestgehend auf Ablehnung, trotzdem berichtet Frau Dr. Ratsch, dass bislang nur wenige Stellungnahmen bei der BTK eingegangen sind. Sie rief daher dazu auf, der zuständigen Tierärztekammer zeitnah mitzuteilen, wie das Meinungsbild bezüglich des vorgeschlagenen Ethik-Codex ist. Besonders in der Kritik stand die Wahrnehmung, dass im vorgelegten Entwurf das Fleischprodukt vor dem lebenden Tier im Fokus stünde. Der Entwurf kann auf der Internetseite der BTK eingesehen werden. Über die Internetseite www.vetimpulse.de kann jeder Tierarzt nach Anmeldung zudem seinen Kommentar dazu abgeben. Die Kommentare werden gesammelt und dann an die Bundestierärztekammer geleitet.
Aktive Teilnahme erwünscht
Abschließend bleibt die Aufforderung zu mehr aktiver Teilnahme der Tierärzteschaft. Dazu verwies Frau Ratsch auf die nächste Delegiertenversammlung der BTK am 05. Mai, die öffentlich für alle Tierärzte zugänglich ist. Auch zu einer regen Teilnahme am Tierärztekongress in Bamberg ist ausdrücklich erwünscht.