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Über die (menschlichen) Abgründe der Rassezucht und Auswege aus dem genetischen Dilemma

12.10.2023

Wer hätte gedacht, dass ein Tierarzt – noch dazu ein Pathologe – mal Spiegel-Bestseller schreibt? Prof. Dr. Achim Gruber, Leiter des Instituts für Tierpathologie am Fachbereich Veterinärmedizin der Freien Universität Berlin, hat es schon wieder geschafft: Nach seinem erfolgreichen Erstling “Das Kuscheltierdrama” erschien Anfang Oktober 2023 sein zweites Buch “Geschundene Gefährten” – und kletterte direkt wieder auf die Bestsellerlisten. In seinem Debüt hatte er die falsch verstandene Tierliebe anhand zahlreicher eigener Obduktionsberichte und Besitzergespräche in den Fokus und an den Pranger gestellt; nun macht er in seinem neuen Buch auf die Probleme der Rassezucht aufmerksam. Gleichzeitig appelliert er auch an unsere Verantwortung für Hunde und Katzen. In der Hoffnung, dass er nicht Recht behält mit seiner Mutmaßung, das Leid und die Pflegebedürftigkeit dieser Rassetiere sei zumindest teilweise gewollt, weil dies der Neigung des Menschen, schwachen und kranken Geschöpfen zu helfen, entspräche.

Inzwischen sind mehr als 500 genetisch bedingte und durch die Zucht entstandene bzw. weiter verbreitete Krankheiten, Leiden und Sinnesstörungen bekannt. In der Summe tragen die heutigen Rassehunde weitaus mehr Genschäden und Funktionsdefizite als alle anderen gezüchteten Haustiere zusammen. Viele Rassen sind durch diese Zucht inzwischen soweit degeneriert, dass sie laut Meinung des Autors sowie anderer Experten nicht mehr zu retten sind. So zahlt ausgerechnet der Hund, unser treuester Gefährte und bester Freund, den Preis für seine besondere Freundschaft, die den Menschen dazu verleitet hat, Hunde durch züchterische Maßnahmen noch besser machen zu wollen. „Viele Leiden, die sie erdulden müssen, sind eindeutig das Ergebnis unserer intensiven züchterischen Gestaltungen und unseres höchst erfolgreichen Formens von Wunschgefährten”, so Gruber. Viele der heute beliebten Moderassen büßen für unsere Vorstellungen von “schön” und “süß” mit ihrer Gesundheit. Warum muten wir Lebewesen, die wir vorgeblich lieben, solch ein Elend zu? – das fragt der Berliner Tierpathologe immer wieder direkt oder indirekt in seinem Buch, wodurch er den Leser mannigfaltig zum Nachdenken über den Sinn und Zweck bzw. den Sinn und Unsinn der Rassezucht anregt.

Gruber nimmt uns mit auf eine Reise von der Vergangenheit bis in die Gegenwart, auf der er erklärt, wie es dazu kommen konnte. „Wir müssen eingestehen, dass viele Ziele und Zuchtpraktiken unserer traditionellen Zuchtpraktiken sich als fatale Irrwege erwiesen haben“, resümiert Gruber. Er mahnt: „Jetzt ist unser aller Umdenken und Handeln gefragt – damit aus geschundenen wieder geschätzte Gefährten werden.“ Dafür beschreibt er zahlreiche Wege, die dazu führen können, dass unsere Hunde und Katzen wieder auf einen versöhnlicheren und gesünderen Weg kommen können.  

Fazit:

Dieses Buch ist ein Weckruf an alle Rassehundeliebhaber, die bestimmte Rassemerkmale immer noch über das Wohl und die Gesundheit von Tieren stellen. Es hat hoffentlich das Potential, Züchtern und Tierhaltern die Augen zu öffnen und sie zum Umdenken und zu einem verantwortungsbewussten Handeln zu bewegen.

Gruber zeigt in seinem Buch dafür zahlreiche Wege auf. Dabei nimmt er kein Blatt vor den Mund und ist in seinem Urteil mitunter schonungslos. Hurra. Dieses Buch bzw. die Buchempfehlung sollte in keinem Wartezimmer einer Tierarztpraxis fehlen!

Bibliographie

Achim Gruber
Geschundene Gefährten
Über Irrwege in der Rassezucht und unsere Verantwortung für Hund und Katze

Buch | Hardcover

288 Seiten

2023 | 1. Auflage
Droemer Verlag
978-3-426-27908-3 (ISBN)

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Webinar-Empfehlung: Spiegel-Bestsellerautor und Tierpathologe Prof. Dr. Achim Gruber ist am 25.10. online bei MyVetlearn.de zu Gast und wird über „Irrwege der Rassezucht“ referieren, mit dem sich auch sein neues Buch „Geschundene Gefährten“ beschäftigt. Gleich anmelden auf MyVetlearn.de! Die Fortbildung für Tierärzte und Tierärztinnen sowie Tiermedizinstudierende ist mit 2 ATF-Stunden anerkannt.

Achim Gruber über sein neues Buch


Was der Leiter des Instituts für Tierpathologie am Fachbereich Veterinärmedizin der Freien Universität Berlin mit seinem Buch erreichen möchte und ob es bald eine Fortsetzung der erfolgreichen Reihe (Erstling: „Das Kuscheltierdrama“) geben wird, erzählt er uns im Kurzinterview:

Vetion.de: Was hat Sie dazu bewogen, dieses Buch zu schreiben?
Gruber: Meine 30-jährigen Erfahrungen als diagnostischer Tierpathologe, in denen ich ständig und praktisch unverändert das ganze Spektrum der Probleme sehe, UND meine dabei vielfach geführten Gespräche mit Besitzern und Züchtern, von denen der Großteilt nicht annähernd über die vielen Probleme und Hintergründe sowie dringend notwendige Maßnahmen informiert ist.


Vetion.de: Wer soll es Ihrem Wunsch nach vorrangig lesen?
Gruber: Alle Menschen, die das Thema interessiert und ganz besonders alle „Entscheider“: Jeder, die oder der sich einen Hund oder eine Katze zulegen möchte und dabei für das Tier und sich selbst und zukünftige Generationen eine WICHTIGE Entscheidung trifft; aber auch Entscheider in der Politik, den Ministerien, den Veterinärämtern und ganz besonders bei den Züchtern!


Vetion.de: Wie lange haben Sie an dem Buch gearbeitet?
Gruber: Etwa 18 Monate lang fast täglich, immer abends sobald ich allein im Institut war und dann oft bis nach Mitternacht…


Vetion.de: Was haben Sie als nächstes vor?
Gruber: Die Wellen, die das Buch gerade erzeugt, in die richtige Richtung bewegen. Und für danach hat mir meine Familie ein einstweiliges Buchschreibeverbot erteilt…