Verordnung
über die Nutzenbewertung von
Arzneimitteln nach § 35a Absatz 1 SGB V für Erstattungsvereinbarungen nach § 130b SGB V - AM-NutzenV
(Arzneimittel-Nutzenbewertungsverordnung)
vom 28. Dezember 2010, Bundesgesetzblatt Jahrgang 2010 Teil I Nr. 68, S.2324 vom 31. Dezember 2010, geändert am 07. August 2013, durch Bundesgesetzblatt Jahrgang 2013 Teil I Nr. 47, S.3108, Art.4 vom 12. August 2013, geändert am 27. März 2014 durch Bundesgesetzblatt Jahrgang 2014 Teil I Nr. 11, S.261, Art.2 vom 31. März 2014, geändert am 04. Mai 2017 durch Bundesgesetzblatt Jahrgang 2017 Teil I Nr. 25, S.1050, Art.3 vom 12. Mai 2017 (Die Änderungen sind lila markiert.), geändert am 9. August 2019 durch Bundesgesetzblatt Jahrgang 2019 Teil I Nr. 30, S.1202, Art.13 vom 15. August 2019 (Die Änderungen sind blau markiert und traten am 16. August 2019 in Kraft.) und zuletzt geändert am 19. Juli 2023 durch Bundesgesetzblatt Jahrgang 2023 Teil I Nr. 197, S. 11, Art. 6 vom 26. Juli 2023 (Die Änderungen sind grün markiert und am 27. Juli 2023 in Kraft getreten.)
§ 1
Geltungsbereich
Die Verordnung regelt das Nähere zur Nutzenbewertung
von erstattungsfähigen Arzneimitteln mit neuen
Wirkstoffen nach § 35a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch.
Der Gemeinsame Bundesausschuss regelt in
seiner Verfahrensordnung weitere Einzelheiten erstmals innerhalb eines Monats nach Inkrafttreten der Rechtsverordnung.
§ 2
Begriffsbestimmungen
(1) Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen im Sinne
dieser Verordnung sind Arzneimittel, die Wirkstoffe enthalten,
deren Wirkungen bei der erstmaligen Zulassung
in der medizinischen Wissenschaft nicht allgemein bekannt
sind. Ein Arzneimittel mit einem neuen Wirkstoff
im Sinne dieser Verordnung gilt solange als ein Arzneimittel
mit einem neuen Wirkstoff, wie für das erstmalig
zugelassene Arzneimittel mit dem Wirkstoff Unterlagenschutz
besteht.
(2) Ein neues Anwendungsgebiet ist ein Anwendungsgebiet,
für das nach § 29 Absatz 3 Nummer 3
des Arzneimittelgesetzes eine neue Zulassung erteilt
wird oder das als größere Änderung des Typs 2 nach
Anhang 2 Nummer 2 Buchstabe a der Verordnung (EG)
Nr. 1234/2008 der Kommission vom 24. November
2008 über die Prüfung von Änderungen der Zulassungen
von Human- und Tierarzneimitteln (ABl. L 334 vom
12.12.2008, S. 7) eingestuft wird. Abzustellen ist auf die tatsächliche Versorgungssituation, wie sie sich ohne das zu bewertende Arzneimittel
darstellen würde. Als zweckmäßige Vergleichstherapie oder als Teil der zweckmäßigen Vergleichstherapie kann
der Gemeinsame Bundesausschuss ausnahmsweise die zulassungsüberschreitende Anwendung von
Arzneimitteln bestimmen, wenn er im Beschluss über die Nutzenbewertung nach § 7 Absatz 4 feststellt, dass
diese nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse im zu bewertenden
Anwendungsgebiet als Therapiestandard oder als Teil des Therapiestandards in der Versorgungssituation, auf die
nach Satz 2 abzustellen ist, gilt und
- erstmals mit dem zu bewertenden Arzneimittel ein im Anwendungsgebiet zugelassenes Arzneimittel zur
Verfügung steht,
- die zulassungsüberschreitende Anwendung nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen
Erkenntnisse den im Anwendungsgebiet bislang zugelassenen Arzneimitteln regelhaft vorzuziehen ist oder
- die zulassungsüberschreitende Anwendung nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen
Erkenntnisse für relevante Patientengruppen oder Indikationsbereiche den im Anwendungsgebiet bislang
zugelassenen Arzneimitteln regelhaft vorzuziehen ist.
Eine zweckmäßige Vergleichstherapie kann auch eine nichtmedikamentöse Therapie, die bestmögliche
unterstützende Therapie einschließlich einer symptomatischen oder palliativen Behandlung oder das
beobachtende Abwarten sein.
(3) Der Nutzen eines Arzneimittels im Sinne dieser
Verordnung ist der patientenrelevante therapeutische
Effekt insbesondere hinsichtlich der Verbesserung des
Gesundheitszustands, der Verkürzung der Krankheitsdauer,
der Verlängerung des Überlebens, der Verringerung
von Nebenwirkungen oder einer Verbesserung der
Lebensqualität.
(4) Der Zusatznutzen eines Arzneimittels im Sinne
dieser Verordnung ist ein Nutzen im Sinne des Absatzes
3, der quantitativ oder qualitativ höher ist als der
Nutzen, den die zweckmäßige Vergleichstherapie aufweist.
(5) Zweckmäßige Vergleichstherapie im Sinne dieser
Verordnung ist diejenige Therapie, deren Nutzen mit
dem Nutzen eines Arzneimittels mit neuen Wirkstoffen
für die Nutzenbewertung nach § 35a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch verglichen wird.
§ 3
Anwendungsbereich
der Nutzenbewertung nach § 35a SGB V
(1) Die Nutzenbewertung nach § 35a Absatz 1 des
Fünften Buches Sozialgesetzbuch wird durchgeführt für
erstattungsfähige Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen
und neuen Wirkstoffkombinationen,
- die ab dem 1. Januar 2011 erstmals in den Verkehr
gebracht werden, sofern erstmals ein Arzneimittel
mit diesem Wirkstoff in den Verkehr gebracht wird,
- die ab dem 1. Januar 2011 erstmals in den Verkehr
gebracht worden sind und die nach dem 1. Januar
2011 ein neues Anwendungsgebiet nach § 2
Absatz 2 erhalten,
- frühestens ein Jahr nach dem Beschluss über die
Nutzenbewertung nach § 7 Absatz 4 auf Antrag
des pharmazeutischen Unternehmers,
- frühestens ein Jahr nach dem Beschluss über die
Nutzenbewertung nach § 7 Absatz 4 bei Vorliegen
neuer Erkenntnisse auf Veranlassung des Gemeinsamen
Bundesausschusses,
- für die der Gemeinsame Bundesausschuss über eine
Nutzenbewertung mit Befristung beschlossen hat, wenn die Frist abgelaufen ist.
(2) Die Nutzenbewertung nach § 35a Absatz 6 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch wird durchgeführt für erstattungsfähige Arzneimittel mit Wirkstoffen, die keine neuen Wirkstoffe im Sinne dieser Verordnung sind, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss eine Nutzenbewertung nach § 35a Absatz 6 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch veranlasst.
§ 4
Dossier des pharmazeutischen Unternehmers
(1) Das Dossier enthält Angaben über:
- zugelassene Anwendungsgebiete,
- den medizinischen Nutzen,
- den medizinischen Zusatznutzen im Verhältnis zur
zweckmäßigen Vergleichstherapie,
- die Anzahl der Patienten und Patientengruppen, für
die ein therapeutisch bedeutsamer Zusatznutzen
besteht,
- die Kosten der Therapie für die gesetzliche Krankenversicherung,
- die Anforderung an eine qualitätsgesicherte Anwendung.
Für Arzneimittel nach § 35a Absatz 1 Satz 11 des Fünften
Buches Sozialgesetzbuch sind keine Angaben zu
den Nummern 2 und 3 erforderlich, es sei denn, die
Voraussetzungen des § 35a Absatz 1 Satz 12 des Fünften
Buches Sozialgesetzbuch sind erfüllt.
(2) Das Dossier soll auch die Zulassungsnummer,
das Datum der Zulassung, den Zulassungsinhaber, die
Pharmazentralnummer, die Zuordnung zur anatomischtherapeutisch-
chemischen Klassifikation und die Bezeichnung
des Arzneimittels enthalten. Der pharmazeutische
Unternehmer übermittelt dem Gemeinsamen
Bundesausschuss das Dossier mit den Nachweisen für
die Nutzenbewertung nach § 35a Absatz 1 Satz 3 des
Fünften Buches Sozialgesetzbuch elektronisch. Der
Gemeinsame Bundesausschuss legt die dabei zu verwendenden
technischen Standards fest und gibt Formate
und Gliederung vor. Er soll sich dabei an den
Standards der für die Zulassung zuständigen Bundesoberbehörde
(Zulassungsbehörde) orientieren. Das
Dossier soll insbesondere eine Zusammenfassung der
wesentlichen Aussagen enthalten, die Grundlage für
Vereinbarungen nach § 130b des Fünften Buches Sozialgesetzbuch
ist.
(3) Das Dossier ist spätestens zu folgenden Zeitpunkten
zu übermitteln:
- für Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen, die ab dem
1. Januar 2011 erstmals in den Verkehr gebracht
werden, zum Zeitpunkt des erstmaligen Inverkehrbringens;
- für Arzneimittel, die ein neues Anwendungsgebiet
nach § 2 Absatz 2 erhalten, wenn für das Arzneimittel
eine Nutzenbewertung nach dieser Verordnung veranlasst wurde, innerhalb von vier Wochen
nach Zulassung des neuen Anwendungsgebietes
oder der Unterrichtung des pharmazeutischen
Unternehmers über eine Genehmigung für eine Änderung
des Typs 2 nach Anhang 2 Nummer 2 Buchstabe
a der Verordnung (EG) Nr. 1234/2008;
- für Arzneimittel, für die ein Antrag nach § 35a Absatz 5b des Fünften Buches Sozialgesetzbuch gestellt wurde, zu dem vom Gemeinsamen Bundesausschuss bestimmten Zeitpunkt;
- für Arzneimittel, für die bereits eine Nutzenbewertung
beschlossen worden ist und für die der pharmazeutische
Unternehmer (...) eine erneute Nutzenbewertung beantragt
hat oder für die der Gemeinsame Bundesausschuss
eine erneute Nutzenbewertung veranlasst,
innerhalb von drei Monaten nach Anforderung
des Gemeinsamen Bundesausschusses;
- für Arzneimittel, für die ein befristeter Beschluss über die Nutzenbewertung vorliegt, am Tag des
Fristablaufs;
- für Arzneimittel, für die eine Nutzenbewertung nach § 35a Absatz 1 Satz 11 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch
durchgeführt wird, drei Monate nach
Aufforderung des Gemeinsamen Bundesausschusses;
- für Arzneimittel, für die der Gemeinsame Bundesausschuss eine Nutzenbewertung nach § 35a Absatz 6 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch veranlasst, innerhalb von drei Monaten nach Anforderung des Gemeinsamen Bundesausschusses.
(4) Der Gemeinsame Bundesausschuss hat fristgerecht
eingereichte Unterlagen zu berücksichtigen.
Dokumente der Zulassungsbehörden, die dem pharmazeutischen
Unternehmer zu dem für die Einreichung
maßgeblichen Zeitpunkt noch nicht vorgelegen haben,
sind zu berücksichtigen, sofern sich dadurch die
Nutzenbewertung nicht verzögert.
(5) Der pharmazeutische Unternehmer kann das
Dossier dem Gemeinsamen Bundesausschuss auch
vor den in Absatz 3 genannten Zeitpunkten übermitteln.
Legt der pharmazeutische Unternehmer das Dossier
drei Wochen vor dem jeweiligen Zeitpunkt nach Absatz
3 beim Gemeinsamen Bundesausschuss vor, führt
die Geschäftsstelle des Gemeinsamen Bundesausschusses
eine formale Vorprüfung auf Vollständigkeit
des Dossiers durch. Ist das Dossier unvollständig, teilt
die Geschäftsstelle des Gemeinsamen Bundesausschusses
dem pharmazeutischen Unternehmer in der
Regel innerhalb von zwei Wochen mit, welche zusätzlichen
Angaben erforderlich sind. Die inhaltliche Prüfung
des Dossiers nach § 7 Absatz 2 bleibt davon unberührt.
Absatz 4 gilt entsprechend.
(6) Für das zu bewertende Arzneimittel mit neuem
Wirkstoff legt der pharmazeutische Unternehmer im
Dossier den Ergebnisbericht der Zulassungsstudien
einschließlich der Studienprotokolle und des Bewertungsberichtes
der Zulassungsbehörde vor, sowie alle
Studien, die der Zulassungsbehörde übermittelt worden
sind. Darüber hinaus werden alle Ergebnisse, Studienberichte
und Studienprotokolle von Studien zum
Arzneimittel übermittelt, für die der Unternehmer Sponsor
war, sowie alle verfügbaren Angaben über laufende
oder abgebrochene Studien mit dem Arzneimittel, für
die der Unternehmer Sponsor ist oder auf andere Weise
finanziell beteiligt ist, und entsprechende Angaben über
Studien von Dritten, soweit diese verfügbar sind.
(7) Für die zweckmäßige Vergleichstherapie nach § 6 übermittelt der pharmazeutische Unternehmer im Dossier
alle verfügbaren Ergebnisse von klinischen Studien
einschließlich von Studienprotokollen, die geeignet
sind, Feststellungen über den Zusatznutzen des zu bewertenden
Arzneimittels zu treffen. Liegen keine klinischen
Studien zum direkten Vergleich mit dem zu bewertenden
Arzneimittel vor oder lassen diese keine
ausreichenden Aussagen über einen Zusatznutzen zu,
können im Dossier indirekte Vergleiche vorgelegt werden.
(8) Der pharmazeutische Unternehmer hat die Kosten
für die gesetzliche Krankenversicherung gemessen
am Apothekenabgabepreis und die den Krankenkassen
tatsächlich entstehenden Kosten anzugeben. Die Kosten
sind sowohl für das zu bewertende Arzneimittel als
auch für die zweckmäßige Vergleichstherapie anzugeben.
Maßgeblich sind die direkten Kosten für die gesetzliche
Krankenversicherung über einen bestimmten
Zeitraum. Bestehen bei Anwendung der Arzneimittel
entsprechend der Fach- oder Gebrauchsinformation regelhaft Unterschiede bei der notwendigen Inanspruchnahme ärztlicher Behandlung oder bei der Verordnung
sonstiger Leistungen zwischen dem zu bewertenden
Arzneimittel und der zweckmäßigen Vergleichstherapie,
sind die damit verbundenen Kostenunterschiede für die Feststellung der den Krankenkassen
tatsächlich entstehenden Kosten zu berücksichtigen.
§ 5
Zusatznutzen
(1) Der Zusatznutzen ist vom pharmazeutischen
Unternehmer im Dossier nach § 4 nachzuweisen. Der
Gemeinsame Bundesausschuss hat keine Amtsermittlungspflicht.
(2) Für erstattungsfähige Arzneimittel mit neuen
Wirkstoffen, die pharmakologisch-therapeutisch vergleichbar
mit Festbetragsarzneimitteln sind, ist der
medizinische Zusatznutzen als therapeutische Verbesserung
entsprechend § 35 Absatz 1b Satz 1 bis 5 des
Fünften Buches Sozialgesetzbuch nachzuweisen. Der
Nachweis einer therapeutischen Verbesserung erfolgt
aufgrund der Fachinformationen und durch Bewertung
von klinischen Studien nach den internationalen Standards
der evidenzbasierten Medizin. Vorrangig sind
klinische Studien, insbesondere direkte Vergleichsstudien
mit anderen Arzneimitteln dieser Festbetragsgruppe
mit patientenrelevanten Endpunkten, insbesondere
Mortalität, Morbidität und Lebensqualität, zu berücksichtigen.
(3) Für Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen, die die
Voraussetzungen nach Absatz 2 nicht erfüllen, wird
ein Zusatznutzen für das jeweilige zugelassene Anwendungsgebiet nachgewiesen im Vergleich zu der nach § 6 bestimmten zweckmäßigen Vergleichstherapie auf
der Grundlage von Unterlagen zum Nutzen des Arzneimittels
in den zugelassenen Anwendungsgebieten.
Basis sind die arzneimittelrechtliche Zulassung, die behördlich
genehmigten Produktinformationen sowie Bekanntmachungen
von Zulassungsbehörden und die Bewertung
von klinischen Studien nach den internationalen
Standards der evidenzbasierten Medizin. Für die
erstmalige Bewertung nach § 35a des Fünften Buches
Sozialgesetzbuch zum Zeitpunkt der Markteinführung
sind für die Bewertung des Arzneimittels mit neuen
Wirkstoffen grundsätzlich die Zulassungsstudien zugrunde
zu legen. Reichen die Zulassungsstudien nicht
aus, kann der Gemeinsame Bundesausschuss weitere
Nachweise verlangen. Sofern es unmöglich oder unangemessen
ist, Studien höchster Evidenzstufe durchzuführen
oder zu fordern, sind Nachweise der best verfügbaren
Evidenzstufe einzureichen.
(4) Im Dossier ist unter Angabe der Aussagekraft der
Nachweise darzulegen, mit welcher Wahrscheinlichkeit
und in welchem Ausmaß ein Zusatznutzen vorliegt.
Diese Angaben sollen sowohl bezogen auf die Anzahl
der Patientinnen und Patienten als auch bezogen auf
die Größe des Zusatznutzens erfolgen.
(5) Für Arzneimittel nach Absatz 3 wird der Zusatznutzen
gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie
festgestellt als Verbesserung der Beeinflussung
patientenrelevanter Endpunkte zum Nutzen gemäß § 2
Absatz 3. Bei der Bewertung des Zusatznutzens von Antibiotika soll die Resistenzsituation berücksichtigt werden. Können zum Zeitpunkt der Bewertung valide
Daten zu patientenrelevanten Endpunkten noch nicht
vorliegen, erfolgt die Bewertung auf der Grundlage der
verfügbaren Evidenz unter Berücksichtigung der Studienqualität
mit Angabe der Wahrscheinlichkeit für den
Beleg eines Zusatznutzens und kann eine Frist bestimmt
werden, bis wann valide Daten zu patientenrelevanten
Endpunkten vorgelegt werden sollen. Liegen
keine direkten Vergleichsstudien für das neue Arzneimittel
gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie vor oder lassen diese keine ausreichenden Aussagen über einen Zusatznutzen zu, können verfügbare klinische
Studien für die zweckmäßige Vergleichstherapie
herangezogen werden, die sich für einen indirekten Vergleich
mit dem Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen
eignen.
(5a) Bei der Bewertung von Arzneimitteln mit einer Genehmigung für die pädiatrische Verwendung im Sinne des Artikels 2 Absatz 4 der Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Kinderarzneimittel und zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1768/92, der Richtlinien 2001/20/EG und 2001/83/EG sowie der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 (ABl. L 378 vom 27.11.2006, S. 1), die zuletzt durch die Verordnung (EG) Nr. 1902/2006 (ABl. L 378 vom 27.12.2006, S. 20) geändert worden ist, prüft der Gemeinsame Bundesausschuss, ob für Patientengruppen oder Teilindikationen, die von der Zulassung umfasst sind, die jedoch in der Studienpopulation nicht oder nicht hinreichend vertreten sind und für die die Zulassung aufgrund der Übertragung von Evidenz ausgesprochen wurde, ein Zusatznutzen anerkannt werden kann. Er kann in diesen Fällen einen Zusatznutzen anerkennen, sofern die Übertragung der Evidenz nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis auch im Hinblick auf die Nutzenbewertung zulässig und begründet ist. Der Gemeinsame Bundesausschuss regelt das Nähere in seiner Verfahrensordnung.
(6) Die Aussagekraft der Nachweise ist unter Berücksichtigung
der Studienqualität, der Validität der
herangezogenen Endpunkte sowie der Evidenzstufe
darzulegen und es ist zu bewerten, mit welcher Wahrscheinlichkeit
und in welchem Ausmaß ein Zusatznutzen
vorliegt. Im Dossier ist für alle eingereichten
Unterlagen darzulegen, auf welcher Evidenzstufe die
Nachweise erbracht werden. Es gelten folgende Evidenzstufen:
- I a systematische Übersichtsarbeiten von Studien
der Evidenzstufe Ib
- I b randomisierte klinische Studien
- II a systematische Übersichtsarbeiten der Evidenzstufe
lIb
- II b prospektiv vergleichende Kohortenstudien
- III retrospektiv vergleichende Studien
- IV Fallserien und andere nicht vergleichende Studien
- V Assoziationsbeobachtungen, pathophysiologische Überlegungen, deskriptive Darstellungen, Einzelfallberichte,
nicht mit Studien belegte Meinungen anerkannter
Experten, Konsensuskonferenzen und Berichte
von Expertenkommittees.
(7) Für Arzneimittel nach Absatz 3 sind das Ausmaß
des Zusatznutzens und die therapeutische Bedeutung
des Zusatznutzens unter Berücksichtigung des Schweregrades
der Erkrankung gegenüber dem Nutzen der
zweckmäßigen Vergleichstherapie wie folgt zu quantifizieren:
- ein erheblicher Zusatznutzen liegt vor, wenn eine
nachhaltige und gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie
bisher nicht erreichte große Verbesserung des therapierelevanten Nutzens im Sinne von § 2 Absatz 3 erreicht wird, insbesondere eine
Heilung der Erkrankung, eine erhebliche Verlängerung
der Überlebensdauer, eine langfristige Freiheit
von schwerwiegenden Symptomen oder die weitgehende
Vermeidung schwerwiegender Nebenwirkungen;
- ein beträchtlicher Zusatznutzen liegt vor, wenn eine
gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie
bisher nicht erreichte deutliche Verbesserung des
therapierelevanten Nutzens im Sinne von § 2
Absatz 3 erreicht wird, insbesondere eine Abschwächung
schwerwiegender Symptome, eine moderate
Verlängerung der Lebensdauer, eine für die Patientinnen
und Patienten spürbare Linderung der Erkrankung,
eine relevante Vermeidung schwerwiegender
Nebenwirkungen oder eine bedeutsame Vermeidung
anderer Nebenwirkungen;
- ein geringer Zusatznutzen liegt vor, wenn eine gegenüber
der zweckmäßigen Vergleichstherapie
bisher nicht erreichte moderate und nicht nur geringfügige
Verbesserung des therapierelevanten Nutzens
im Sinne von § 2 Absatz 3 erreicht wird, insbesondere eine Verringerung von nicht schwerwiegenden
Symptomen der Erkrankung oder eine relevante
Vermeidung von Nebenwirkungen;
- ein Zusatznutzen liegt vor, ist aber nicht quantifizierbar,
weil die wissenschaftliche Datengrundlage dies
nicht zulässt;
- es ist kein Zusatznutzen belegt;
- der Nutzen des zu bewertenden Arzneimittels ist geringer
als der Nutzen der zweckmäßigen Vergleichstherapie; § 7 Absatz 2 Satz 6 bleibt unberührt.
Abweichungen von dem quantifizierten Ausmaß eines Zusatznutzens nach den Nummern 1 bis 6 oder einschränkende Zusätze des Beschlusses über die Nutzenbewertung nach § 7 Absatz 4 sind nicht zulässig.
(8) Für Arzneimittel, die zur Behandlung eines seltenen Leidens nach der Verordnung (EG) Nr. 141/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1999 über Arzneimittel für seltene Leiden (ABl. L 18 vom 22.1.2000, S. 1) zugelassen sind und für die keine Nachweise nach § 35a Absatz 1 Satz 3 Nummer 2 und 3 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch vorgelegt werden müssen, ist unter Angabe der Aussagekraft der Nachweise nur das Ausmaß des Zusatznutzens nach Absatz 7 Satz 1 Nummer 1 bis 4 zu quantifizieren. Im Fall des Absatzes 7 Satz 1 Nummer 4 hat der Gemeinsame Bundesausschuss im Beschluss über die Nutzenbewertung nach § 7 Absatz 4 danach zu differenzieren, ob ein Zusatznutzen vorliegt, aber nicht quantifizierbar ist, weil die wissenschaftliche Datengrundlage dies nicht zulässt oder weil die erforderlichen Nachweise nicht vollständig sind. Absatz 7 Satz 2 gilt entsprechend. Sofern es unmöglich oder unangemessen ist, Studien höchster Evidenzstufe durchzuführen oder zufordern, sind Nachweise der bestverfügbaren Evidenzstufe einzureichen.
§ 6
Zweckmäßige Vergleichstherapie
(1) Die zweckmäßige Vergleichstherapie ist regelhaft
zu bestimmen nach Maßstäben, die sich aus den internationalen
Standards der evidenzbasierten Medizin
ergeben.
(2) Die zweckmäßige Vergleichstherapie muss eine
nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen
Erkenntnisse zweckmäßige Therapie im Anwendungsgebiet
sein (§ 12 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch),
vorzugsweise eine Therapie, für die Endpunktstudien
vorliegen und die sich in der praktischen
Anwendung bewährt hat, soweit nicht Richtlinien nach § 92 Absatz 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch
oder das Wirtschaftlichkeitsgebot dagegensprechen.
(2a) Sind nach den Absätzen 1 und 2 mehrere
Alternativen für die Vergleichstherapie gleichermaßen
zweckmäßig, kann der Zusatznutzen gegenüber
jeder dieser Therapien nachgewiesen
werden. § 35a Absatz 1 Satz 4 des Fünften
Buches Sozialgesetzbuch bleibt unberührt.
(3) Für Arzneimittel einer Wirkstoffklasse ist die gleiche
zweckmäßige Vergleichstherapie heranzuziehen,
um eine einheitliche Bewertung zu gewährleisten.
§ 7
Nutzenbewertung
(1) Der Gemeinsame Bundesausschuss führt die
Nutzenbewertung durch. Grundlage dafür sind das Dossier des pharmazeutischen Unternehmers nach § 4 sowie die aus einer anwendungsbegleitenden Datenerhebung nach § 35a Absatz 3b des Fünften Buches Sozialgesetzbuch erhobenen oder gewonnenen Daten. Der Gemeinsame Bundesausschuss kann das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen oder Dritte mit der Nutzenbewertung beauftragen. Die Bestimmungen zum Schutz personenbezogener Daten bleiben unberührt.
(2) Mit der Nutzenbewertung wird die Validität und
Vollständigkeit der Angaben im Dossier geprüft. Dabei
werden die Unterlagen hinsichtlich ihrer Planungs-,
Durchführungs- und Auswertungsqualität im Hinblick
auf ihre Aussagekraft für Wahrscheinlichkeit und Ausmaß
des Zusatznutzens und hinsichtlich der Angaben
zu den Therapiekosten bewertet. Die Nutzenbewertung
enthält auch eine Zusammenfassung der wesentlichen Aussagen als Bewertung der Angaben im Dossier nach § 4 Absatz 1. Maßstab für die Beurteilung ist der allgemein
anerkannte Stand der medizinischen Erkenntnisse.
Grundlage sind die internationalen Standards
der evidenzbasierten Medizin und der Gesundheitsökonomie.
Die Bewertung darf den Feststellungen der Zulassungsbehörde über Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit
des Arzneimittels nicht widersprechen. Bei
der Nutzenbewertung wird geprüft, ob für das Arzneimittel
ein Zusatznutzen gegenüber der zweckmäßigen
Vergleichstherapie belegt ist, welcher Zusatznutzen für
welche Patientengruppen in welchem Ausmaß belegt
ist, wie die vorliegende Evidenz zu bewerten ist und
mit welcher Wahrscheinlichkeit der Beleg jeweils erbracht
wird.
(2a) Die aus einer anwendungsbegleitenden Datenerhebung nach § 35a Absatz 3b des Fünften Buches Sozialgesetzbuch erhobenen und ausgewerteten Daten sind vom Gemeinsamen Bundesausschuss zur Nutzenbewertung heranzuziehen.
(3) Die Nutzenbewertung ist spätestens drei Monate
nach dem Zeitpunkt abzuschließen, der für die Einreichung
der Nachweise nach § 4 Absatz 3 maßgeblich
ist. Sie ist auf der Internetseite des Gemeinsamen Bundesausschusses
zu veröffentlichen.
(4) Der Gemeinsame Bundesausschuss stellt die
Nutzenbewertung einschließlich der Zusammenfassung
zur schriftlichen und mündlichen Anhörung. Er beschließt
nach der Durchführung der Anhörungen. Der
Beschluss enthält die wesentlichen Ergebnisse der
Nutzenbewertung und ist Teil der Richtlinien nach § 92
Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch.
Der Beschluss ist innerhalb von drei
Monaten nach Veröffentlichung der Nutzenbewertung
zu fassen. Der Beschluss ist für alle Arzneimittel mit
diesem Wirkstoff Grundlage für Vereinbarungen nach § 130b des Fünften Buches Sozialgesetzbuch über Erstattungsbeträge
und für die Bestimmung von Anforderungen
an die Zweckmäßigkeit, Qualität und Wirtschaftlichkeit
der Verordnung sowie für die Anerkennung
als Praxisbesonderheit oder für die Zuordnung
von Arzneimitteln ohne Zusatznutzen zu einer Festbetragsgruppe
nach § 35 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch.
§ 8
Beratung
(1) Der Gemeinsame Bundesausschuss berät den
pharmazeutischen Unternehmer aufgrund dessen Anforderung
auf der Grundlage der eingereichten Unterlagen
nach Absatz 2. Die Beratung wird durch die Geschäftsstelle
des Gemeinsamen Bundesausschusses
durchgeführt, sofern er nichts anderes beschließt. Die
Beratung kann bereits vor Beginn von Zulassungsstudien
der Phase drei und unter Beteiligung des Bundesinstituts
für Arzneimittel und Medizinprodukte oder
des Paul-Ehrlich-Instituts stattfinden. Der pharmazeutische
Unternehmer erhält eine Niederschrift über das
Beratungsgespräch.
(2) Der pharmazeutische Unternehmer übermittelt
dem Gemeinsamen Bundesausschuss mit der Anforderung
einer Beratung die für die Erstellung eines Dossiers
bedeutsamen Unterlagen und Informationen, über
die er zu diesem Zeitpunkt verfügt. Die im Rahmen der
Beratung übermittelten Informationen sind vertraulich
zu behandeln. Gegenstand der Beratung sind insbesondere
die für die Nutzenbewertung vorzulegenden
Unterlagen und Studien sowie die zweckmäßige Vergleichstherapie.
Der Gemeinsame Bundesausschuss
kann hierüber Vereinbarungen mit dem pharmazeutischen
Unternehmer treffen. Der Gemeinsame Bundesausschuss
führt die Beratung innerhalb von acht
Wochen nach Einreichung der Unterlagen durch. Veranlasst der Gemeinsame Bundesausschuss eine Nutzenbewertung nach § 35a Absatz 6 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch, so hat er eine Beratung anzubieten, bevor er den pharmazeutischen Unternehmer zur Einreichung eines Dossiers auffordert.
(3) Die Frist für die Einreichung eines Dossiers nach § 4 Absatz 3 gilt unbeschadet der Beratung. Der Anspruch
auf Beratung erlischt mit Verstreichen des Zeitpunktes
nach § 4 Absatz 3 oder mit der Einreichung des Dossiers.
§ 9
Offenlegung
(1) Das Dossier wird gleichzeitig mit der Nutzenbewertung
nach § 7 Absatz 2 auf der Internetseite des
Gemeinsamen Bundesausschusses veröffentlicht, sofern
nicht Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, der
Schutz des geistigen Eigentums oder der Schutz personenbezogener
Daten dagegensprechen. Die Veröffentlichung
enthält die Grundlagen, auf die sich die Bewertung
stützt.
(2) Der pharmazeutische Unternehmer kennzeichnet
Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse im Dossier. Diese
Kennzeichnung darf der Pflicht zur Offenlegung der
Studienergebnisse nicht entgegenstehen.
(3) Der Gemeinsame Bundesausschuss kann mit
den maßgeblichen Verbänden der pharmazeutischen
Industrie und mit pharmazeutischen Unternehmern
das Nähere durch Vereinbarung regeln.
§ 10
Übergangsregelungen
(1) Für bis zum 31. Juli 2011 einzureichende Dossiers
berät der Gemeinsame Bundesausschuss den
pharmazeutischen Unternehmer abweichend von § 8
Absatz 3 über Inhalt und Vollständigkeit des Dossiers.
Er kann damit das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit
im Gesundheitswesen oder Dritte beauftragen.
Ist das Dossier inhaltlich unzureichend, teilt der Gemeinsame
Bundesausschuss dem pharmazeutischen
Unternehmer in der Regel innerhalb von drei Monaten
mit, welche zusätzlichen Angaben erforderlich sind.
(2) Der pharmazeutische Unternehmer hat dem Gemeinsamen
Bundesausschuss das überarbeitete Dossier
innerhalb von drei Monaten nach der Mitteilung des Gemeinsamen Bundesausschusses nach Absatz 1 vorzulegen; § 4 Absatz 4 gilt entsprechend. Der Zeitpunkt
der erneuten Vorlage des Dossiers ist für die Frist zum
Abschluss der Nutzenbewertung nach § 7 Absatz 3
maßgeblich.
§ 11
Inkrafttreten
Diese Verordnung tritt am 1. Januar 2011 in Kraft.
Bonn, den 28. Dezember 2010
Der Bundesminister für Gesundheit
Philipp Rösler |