Neugeboren und schon Waise! Was nun?
Glücklicherweise kommt es nicht oft vor, dass
Tiere gleich nach ihrer Geburt zur Waise werden
und mit der Hand aufgezogen werden müssen.
Jedoch, wenn dies eintritt ist schnelles und
gekonntes Handeln gefragt.
Die Gründe, warum Jungtiere zur Waise werden,
sind vielfältig, z. B. die leibliche Mutter
- verstößt/verläßt ihren Nachwuchs,
- hat nicht genügend Milch oder leidet unter
Milchlosigkeit (Agalaktie),
- ist schwer erkrankt und unfähig zur
eigenen Fürsorge,
- ist unter der Geburt verendet oder musste
notgetötet werden,
- hat mehrere Neugeborene (Überzahl), von
denen nicht alle an die Milchquelle gelangen
können,
- ist nicht bekannt/nicht auffindbar
(Findlinge) oder
- das Neugeborene ist schwer erkrankt und
kann deshalb nicht bei der Mutter saugen.
Das Frühjahr naht und damit auch nicht
selten die Problematik:
Rehkitz, Fuchs-, Hund- oder Katzenwelpe - was
soll ich damit machen, wie ernähre ich sie und
wie kann ich eine gute "Mutter" sein? Und damit
nicht genug. Auch unsere eher vertrauten
Nutztierarten lassen uns gelegentlich zu
Ersatzeltern werden.
Dr. Andrea Münnich, ehemals
Tierklinik für
Fortpflanzung, Berlin, hat das Wichtigste für
Sie auf den Punkt gebracht.Prinzipien der mutterlosen Aufzucht
Für eine erfolgreiche mutterlose Aufzucht sind
nicht nur die richtige Milchmenge und
Tränkefrequenz, sondern auch eine an die
Muttermilch adaptierte Milchzusammensetzung von
großer Bedeutung. Darüber hinaus spielt neben
der Ernährungsfunktion der Milch auch ihre
Schutzfunktion (durch darin enthaltene
Antikörper, sogenannte Immunglobuline) eine
wichtige Rolle.
Bei allen Tierarten mit einer Placenta
endotheliochorialis (bei unseren
Fleischfressern sind das Hund und Katze) ist
eine Versorgung mit lebenswichtigen Antikörpern
(besonders Immunglobulin G) teilweise bereits
über den intrauterinen Weg während der
Trächtigkeit erfolgt. Sie lassen sich meist
problemlos von der ersten Stunde an künstlich
(mit Milchaustauscher) ernähren.
Fohlen, Ferkel, Kalb und Lamm benötigen aber
diese Immunglobuline über das Kolostrum. Ist
kein gefrierkonserviertes Kolostrum vorhanden,
muss auf Alternativen zurückgegriffen werden.
Das am ehesten verfügbare Rinderkolostrum kann
auch tierartenübergreifend bei den vorstehend
genannten Spezies verwendet werden, obgleich
bei Lämmern gelegentlich eine Anämie beobachtet
wird. Worauf diese im Einzelnen zurückzuführen
ist, konnte bisher nur vermutet werden.
Möglicherweise bestehen Unverträglichkeiten
immunologischer Art zu rinderspezifischen
Antikörpern. In der Folge kommt es zu einem
moderaten Erythrozytenzerfall und damit zu
einer Blutarmut, die aber normalerweise keine
dramatischen Auswirkungen hat.
Auch die Zugabe eines unspezifischen
Immunglobulinpräparat zur Ersatzmilch kann
versucht werden.
Als letzte Möglichkeit sollte die Verabreichung
von Serum (1 bis 2 % des Köpergewichtes) der
gleichen Tierart, optimalerweise in die Vene,
erfolgen. Vollblut mit Gerinnungshemmer ist
wegen eventueller Unverträglichkeiten
risikovoller. Damit wird eine ähnliche
Versorgung mit Antikörpern gewährleistet wie
sie bei Aufnahme von Kolostrum zu erwarten ist.
Der Absetztermin wird bei mutterloser Aufzucht
so früh wie möglich angestrebt. Er liegt bei
Fohlen um 12 Wochen, bei Lämmern um 7, Ferkel 3
bis 4, Hundewelpen 4 bis 5, Katzenwelpen 6 bis
7, und bei Kaninchen um 3 Wochen.
Neugeborene Kälber und Lämmer
DDie Neugeborenen unserer Hauswiederkäuer
machen es uns vergleichsweise leicht: Das Kalb
wird in der Regel mutterlos aufgezogen und die
Kuh dient als Milchlieferant. Ist keine erste
Muttermilch (Kolostrum) verfügbar, wird Ammen-
oder Tiefgefrierkolostrum genutzt. Ab dem
3./4. Tag werden Kälber in der Regel mit
Milchaustauscher (MAT) getränkt.
Ebenso hat man beim Lamm die Möglichkeit, eine
Amme (Mutter mit nur einem Lamm oder nach
Totgeburt) zu nutzen. Allerdings sind hier
einige Tricks, die jeder Schäfer gut
beherrscht, notwendig (u.a. Einreibung mit
Geburtsflüssigkeit der Amme, Nachgeburt,
Überziehen des Felles vom toten Lamm der Amme).
In einer Hobbyhaltung mit wenigen Tieren wird
das schon schwieriger. Hier ist man dann oft
auf Milchaustauscher und Übernahme von
Mutterpflichten (Flaschenfütterung) angewiesen.
Lämmer saugen natürlicherweise bis zu 50 mal
pro Tag. Bei mutterloser Aufzucht muss deshalb
in der ersten Lebenswoche mindestens 6 bis 10
mal getränkt werden. Als Richtwert (übrigens
für nahezu alle Neugeborenen) gilt: 10 bis 15 %
der Körpermasse in Millilitern auf 24 Stunden
verteilt (d.h. bei einem 5 kg schweren Lamm
zwischen 500 und 750 ml in 24 Stunden; bei 6
Mahlzeiten wären das Portionen mit jeweils etwa
85 bis 125 ml).
Mutterlose Aufzucht von Lämmern
Alter |
0-7 Tage |
Ersatztränke (1l)(Beispiel) |
900 g fettarme H-Milch
100 g Schlagsahne (30%)
15 g vitaminisiertes Mineralfutter
1 Eidotter (2 x pro Woche) |
käufliche MAT |
ja |
Frequenz/Menge |
6-10 mal,
10-15% der Körpermasse auf 24 Stunden
verteilt |
Besonderheiten |
Schafsmilch ist fettreicher als
Ziegenmilch,
Rasseschwankungen beachten,
Sondenernährung bei Erkrankung,
Anämie bei Kuhmilch möglich |
Zufütterung |
2. Woche |
Frühabsetzen |
4 Wochen |
Ferkel und Frischlinge
Auch in größeren Schweinebeständen ist die Ammenfrage kein Problem. Die Sau kennt ihre Ferkel nicht individuell. Sie akzeptiert zugesetzte Fremdlinge von "ferkelfressenden Sauen", oder wenn eine andere Sau nur wenige (1 bis 2) Ferkel hat, ohne Probleme.
Ein Milchaustauscher ist deshalb nicht üblich. Muß dennoch eine Aufzucht ohne Amme erfolgen, dann beträgt die Tränkhäufigkeit in den ersten beiden Lebenswochen 6 mal in 24 Stunden. Vorteilhafterweise können Ferkel (wie auch Kälber und Fohlen) aus Tränkeimern bzw. Schalen saugen.
Eine aufwendige Flaschenfütterung erübrigt sich in den meisten Fällen.
Spezies |
Ferkel |
Rezept (für einen Liter) |
950 g Kuhmilch
50 g Schlagsahne (30%)
1 Eidotter
15 g Mineralfutter m. Vitaminen f. Schweine |
Besonderheiten |
geringe Eisengehalte bei Ferkeln,
schneller Mangel,
aus Schalen tränkbar |
Zufütterung |
ab der 2. Woche |
Frühabsetzen |
3.-4. Woche |
Mutterlose Aufzucht von Fohlen
Das Fohlen stellt ganz besondere Ansprüche an eine mutterlose Aufzucht. Da es bis zu 70 mal in 24 Stunden saugt, ist eine Mindestfütterungsfrequenz von 12 bis 16 mal pro Tag notwendig.
Eine Amme findet man selten, da Stuten ein fremdes Fohlen fast nie akzeptieren.
Für Fohlen werden ebenfalls kommerzielle MAT angeboten.
Alter |
0-7 Tage |
Ersatztränke (1l)(Beispiel) |
640 g Kuhmilch
320 g Wasser
35 g Milchzucker
1500 IE Vitamin A
300 IE Vitamin D |
käufliche MAT |
ja |
Frequenz/Menge |
16 mal,
10-15% der Körpermasse auf 24 Stunden verteilt |
Besonderheiten |
sehr fettarme Milch,
dafür hoher Laktosegehalt,
hohe Tränkfrequenz;
ggf. Antikörperersatz (IgG) über Serum;
Sondenernährung bei Erkrankung |
Zufütterung |
3. Woche |
Frühabsetzen |
12 Wochen |
Mutterlose Aufzucht von Katzen- und Hundewelpen
Häufig sind es Hunde- oder Katzenwelpen, die
ohne Mutter aufgezogen werden müssen. Sowohl
Hündinnen als auch Katzen sind gute Mütter und
ebenso gute Ammen.
Im Falle der künstlichen Aufzucht dagegen ist
man selbst gefordert: bis zu 12 mal müssen die
Welpen getränkt werden. Und es muss noch mehr
beachtet werden: Welpen sind nicht in der Lage,
den Harnabsatz- und Defäkationsreflex
auszulösen. Dies können die Welpen erst ab dem
16. Tag beim Hund bzw. ab dem 28. Tag bei der
Katze. Deshalb muß man in diesem Fall die
Mutter nachahmen und mit einem feuchten
Baumwollläppchen durch Reiben an der
Bauchunterseite und den Genitalien Harn- und
Kotabsatz auslösen.
Auch können Welpen nicht ohne entsprechenden
Reiz saugen. Sie benötigen ein ausreichend
großes Nuckel zum Abschlucken der Milch. Die
Flussgeschwindigkeit sollte nicht schneller als
ein Tropfen pro Sekunde betragen, um eine
Aspiration von Milch zu vermeiden.
Bei Lebensschwäche wird es mitunter notwendig,
eine Sondenernährung (3 bis 5 mm) vorzunehmen.
Alter |
0-7 Tage |
Ersatztränke (1l)(Beispiel) |
400 g Kuhmilch
450 g Magerquark
80 g Eidotter
50 g Maiskeim- o. Sojaöl
20 g Mineralstoffmischung mit Vitaminen |
käufliche MAT |
ja |
Frequenz/Menge |
10 mal,
15-20% der Körpermasse auf 24 Stunden
verteilt |
Besonderheiten |
laktoseempfindlich,
geringe Eisengehalte bei Welpen, daher
schneller Mangel,
Fettsäuren aus der Kuhmilch werden nur bedingt
vertragen;
Saugnuckel über 3 Wochen;
Harn- und Kotabsatz bis 16. Tag (Hund), bis 21.
Tag (Katze) stimulieren |
Zufütterung |
3. Woche |
Frühabsetzen |
4-5 Wochen (Hund)
6-7 Wochen (Katze) |
Neugeborene Wild- und Zootiere
Neugeborene von Wild- und Zootieren stellen
eine besondere Herausforderung dar, da oft
Erfahrungen fehlen und Ernährungsfehler gemacht
werden. Die Konsultation eines auf diesem
Gebiet spezialisierten Kollegen, z.B. in
Zoologischen Gärten oder Wildaufzuchtstationen,
wird dringend angeraten um Probleme zu
minimieren. Auch Kaninchenwelpen vom ersten
Lebenstag aufzuziehen, gelingt selten. Obwohl
sie natürlicherweise nur einmal am Tag trinken,
ist eine sehr frühe Aufzucht oft nicht
erfolgreich. Da die häufigsten
Erkrankungsursachen bei mutterloser Aufzucht
auf Ernährungsfehler zurückzuführen sind, ist
es hier ebenfalls stets empfehlenswert,
Expertenrat aus Zoologischen Gärten, der
Försterei oder von spezialisierten Tierärzten
einzuholen. Es existieren gleichfalls
Wildtierauffangstationen, wo man nicht nur
einen Rat erhält, sondern Findlinge auch
fachgerecht versorgen lassen kann..
Rezepte für Milchersatzpräparate für
Wildtiere
(mod. nach Meyer u.
Kamphues in: Neugeborenen- und Säuglingskunde
der Tiere; Hrsg.: Walser und Bostedt, Enke
Verlag 1990)
Spezies |
Rezept (für einen Liter) |
Besonderheiten |
Kaninchen, Hasen |
700 g Kuhmilch 150 g Schlagsahne 50 g Eigelb 50 g Sonnenblumenöl
20 g vit. Mineralfutter (Ca:P 2:1) |
2 x täglich 5% der Körpermasse füttern, starkes Wärmebedürfnis, ab 10. Tag
zusätzlich feste Nahrung |
Rehkitz |
100 g Kuhmilch 400 g Wasser 130
g Casein 215 g Rahm (30%) 15 g
vit. Mineralfutter (20% Ca) |
5 x tgl. füttern |
Igel (bis 100 g) |
wie Hundewelpen |
alle 3 bis 4 Stunden vor 5. Lebentag
kaum Aussichten Igel-Hotline
deutschlandweit 08382-3021 oder 08382-
6023 Pro-Igel e.V. |
Fledermäuse |
Kondensmilch 10% : Wasser 1 : 2
1 Tropfen Multivitamin auf 100 ml oder
Welpen (Hunde-)milchersatz |
nach Kälteeinbruch im Frühjahr vor 2.
Lebenswoche kaum Aufzuchterfolg (Taylor,
H. 1974) |
Elefant |
ungesätt. essent. Fettsäuren notwendig, deshalb Milchpräparat aus Humanmedizin mit
Kokosöl verwenden, tägliche
Vitaminsubstitution und Eisensubstitution
(Anämieprophylaxe) |
gehört in erfahrene Hände, extrem
kuhmilchempfindlich, alle 3 Stunden
füttern, notfalls mit Schlundsonde,
Tageszunahme mind. 500 g |
Einhufer (z.B. Zebra) |
Fohlenmilchaustauscher |
Kalttränke möglich |
Tapir |
Kondensmilch 10% : Wasser 1 : 1
oder Kälbermilchaustauscher |
größere Ruhepausen (bis 6 Stunden
ohne Saugakt) |
Nashörner |
fettarme H-Milch |
Milch sehr fettarm, ab 5. Woche
Festfutter |
Paarhufer (Elche, Antilopen, Hirsche...)
|
Kälbermilchaustauscher oder
Kondensmilch : Wasser 2 : 1 |
hoher Bedarf in den ersten Wochen |
Robben |
nach Rüedi (1981): 100 g
Makrelenfleisch püriert 100 g Wasser 30 g Sonnenblumenöl 50 g Cimilac à
laktosefreie Trockenmilch 50 g Rahm
1 Prise Meersalz Vitaminmischung (bes. A
und E) 1 Löffel Ca-D-Pulver |
laktosefrei ernähren! aus der
Humanmedizin spezielle Säuglingsnahrung
mitnutzen (Fa. Nestlé) |
Fleischfresser (Caniden, Katzenartige,
Bären...) |
Hunde- und Katzenmilchaustauscher
oder Kuh- und Trockenmilch mit Eigelb (4 Stk.
pro Liter) |
laktosearm füttern! Ausgeprägte
Bereitschaft für Mangel an: Vitamin A,
B1, Jod, Fe |
Känguruh |
Humane laktosearme Trockenmilchpräparate
(Fa. Nestlé) |
unbehaarte Beuteljunge: stündlich 5-
10 ml Haut einölen anfangs keine
Kuhmilch (Kataraktbildung, Durchfall)
|
Primaten |
Humane Trockenmilchpräparate |
im 1 bis 2 Stunden-Intervall füttern |
Aktuelle Meldungen
03.05.2022: Wildkatzen im Wald lassen
Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) macht anlässlich der Jungtierzeit auf die Verwechslungsgefahr zwischen Haus- und Wildkatzen aufmerksam. Immer wieder kommt es zu folgenschweren Verwechslungen, weil wohlmeinende SpaziergängerInnen junge Wildkatzen aus dem Wald mitnehmen. „Jetzt im Mai werden die jungen Wildkatzen mobil und spielen gern vor ihrem Versteck. Diese Tiere sind nicht hilflos und verlassen – ihre Mutter ist nur auf Mäusejagd und kommt bald zurück“, sagt Friederike Scholz, Wildkatzenexpertin beim BUND. Daher appelliert sie an Spaziergänger, graugetigerte Kätzchen im Wald in Ruhe zu lassen
und sich zügig zu entfernen. Nur in seltenen Ausnahmefällen sind die aufgefundenen jungen Wildkätzchen im Wald tatsächlich in Not. Wildkatzen sind streng geschützte Wildtiere. Sie sind nicht zähmbar. Sie stammen von der Afrikanischen Falbkatze ab. Hauptmerkmale der erwachsenen Wildkatzen sind ihr sehr buschiger Schwanz mit klar abgesetzten dunklen Ringen und die verwaschene Zeichnung auf cremefarbenen Fell. Oft wirkt sie auch etwas größer und massiger als eine Hauskatze. Nachdem sie vor hundert Jahren bei uns fast ausgerottet war, kehrt die Wildkatze mittlerweile in viele ihrer ursprünglichen Lebensräume zurück.